Joseph Haydn: Sinfonie e-moll, Hob. I:44 "Trauer-Sinfonie"

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Programmtext
zur Konzertreihe "NovAntiqua" des Deutschlandfunks, Köln

Programm:
Joseph Haydn
(1732-1809)
    Sinfonie e-moll, Hob. I:44 "Trauer-Sinfonie"
Johann Sebastian Bach
(1685-1750)
    Konzert für drei Violinen, Streicher und Basso continuo in D-Dur, BWV 1064
     Werkeinführung
Jean Philippe Rameau
(1683-1764)
    Suite aus "Les Paladins"
     Werkeinführung

Orchestra of the Age of Enlightenment
Ltg.: Gustav Leonhardt

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Einführung:

Namen sind nur Schall und Rauch. Wer bei Haydns Trauer-Sinfonie eine höfische Variante des Eroica-Trauermarsches erwartet oder gar eine frühklassische Pathétique, wird enttäuscht. Der Titel leitet sich her von einer angeblichen Bemerkung Haydns (für die es jedoch keine glaubwürdige Quelle gibt), man möge bei seiner Beerdigung den langsamen dritten Satz aus dieser Sinfonie spielen. Ob die Trauer-Sinfonie, die um 1770 in Esterháza entstanden ist, darüberhinaus ein (wie auch immer geartetes) Programm birgt, ist nicht restlos geklärt. Im Gothaer Theater-Kalender jener Jahre wird Haydn als Komponist der Theatertruppe von Carl Wahr geführt, für die er unter anderem Bühnenmusiken zu Shakespeares Hamlet und zum Götz von Berlichingen geschrieben haben soll, und es ist durchaus möglich, daß diese bislang verschollenen Musiken in einigen der leidenschaftlich gehaltenen Sinfonien jener Zeit aufgegangen sind.

Aber auch ohne Programm birgt die Trauer-Sinfonie genügend musikalischen Zündstoff. Auffallend ist allein schon, daß Haydn in jenen Jahren, die allgemein als seine Phase des Sturm und Drang bezeichnet wird, sich intensiver mit den Moll-Tonarten auseinandersetzt - wobei er das Moll nicht im italienisch-barocken Sinne als pittoreske Abweichung auffaßt, sondern er benutzt das Moll durchaus als spezifische Färbung für expressive Gestaltungsmöglichkeit und als Träger extremer Leidenschaften. Haydn gelingt es in der Trauer-Sinfonie, den verhalten-emotionalen Charakter der barocken Kirchensonate mit dem sinfonischen Prinzip zu verbinden. Schon dadurch sprengt das Werk den Rahmen höfischer Unterhaltungskunst. Aber auch von der Besetzung her widersetzt die Sinfonie sich jeder damals üblichen Einordnung. Weder entspricht sie dem kammermusikalischen Typus, noch ist sie repräsentativ gehalten. Anstelle von Pauken und Trompeten finden sich neben der üblichen Streicherbesetzung nur zwei Hörner und zwei Oboen.

Wie sehr Haydn in jenen Jahren die Sinfonie als "musikalischen Ernstfall" auffaßte, zeigt sich auch in den Details der kompositorischen Binnenstruktur: Zum ersten Mal schreibt er im Kopfsatz ein "Allegro con brio" vor, und das Brio - Feuer - ist durchaus wörtlich zu verstehen: Die Unerbittlichkeit des Unisono-Anfangs, der Verzicht auf ein zweites Thema und die Schärfe der Kontraste brennt alle Konventionen nieder. Der zweite Satz dann (ein Menuett im konstruktiv strengen Oktav-Kanon zwischen Ober- und Unterstimme) zeugt von einem neu erwachenden Bewußtsein für kontrapunktische Formen.

Die Sinfonien, die Haydn in den Jahren zwischen 1765 und 1775 komponierte, stehen im Zeichen eines allgemeinen ästhetischen Umbruchs, der in der Haydn-Forschung gerne mit der zeitgleichen literarischen Bewegung des Sturm und Drang gleichgesetzt wird. So sehr beide Bewegungen auch stilistische Parallelen aufweisen - in der Leidenschaftlichkeit ihrer Botschaft wie in der Abruptheit der Diktion -, so dürfte der literarische Einfluß auf Haydn doch wohl geringer gewesen sein als die damals herrschenden musikalischen Strömungen: die nordeutsche Schule mit den exzentrisch-brillanten Kompositionen eines Carl Philipp Emanuel Bachs, vor allem aber Glucks Opern- und Ballett-Musiken. Und so braucht es nicht zu verwundern, wenn sich beim Anhören der Trauer-Sinfonie immer wieder zwei andere Kompositionen ins Bewußtsein drängen: Glucks Don Juan und die "Gefilde der Seligen" aus Orfeo ed Euridice.
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