Felix Mendelssohn:
Konzerte für Klavier und Orchester

Dieser Beitrag ist entstanden als Booklet-Text für die CD-Produktion
Felix Mendelssohn Bartholdy: Werke für Klavier und Orchester
Take 01:
     Vera Lejskova, Klavier;
     Vlastimil Lejsek, Klavier;
     Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin;
     Ltg.: Heinz Rögner
Take 02,03:
     Valentin Gheorghiu, Klavier;
     Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig;
     Ltg.: Herbert Kegel;
Berlin Classics (LC 6203) 9072-2. Prod. 1976; © 1995.

Konzert für 2 Klaviere und Orchester in E-dur

Die privaten Sonntagsmatineen, die der Bankier Abraham Mendelssohn seit 1822 veranstaltete, waren in ganz Berlin berühmt: Im Gartenhaus der Leipziger Straße Nr. 3 versammelte sich in regelmäßigen Abständen alles, was in und über die Grenzen Berlins hinaus Rang und Namen hatte: Finanzmenschen und Politiker, Wissenschaftler, Philosophen und Künstler; die Gespräche kreisten um die neuesten Erfindungen und Entdeckungen, um Literatur, Theater, die bildenden Künste - und vor allem um Musik. Die Aktivitäten Abraham Mendelsohns waren sicherlich nicht ganz uneigennützig: Zwar hatte das kulturelle Engagement in der Familie Tradition (Moses Mendelssohn, der Philosoph, war unter anderem mit Lessing befreundet gewesen), aber nun galt es, der musikalischen Begabung des dreizehnjährigen Felix und seiner vier Jahre älteren Schwester Fanny ein gesellschaftliches Podium zu verschaffen, ohne daß man dem Vater (wie weiland Leopold Mozart) den Vorwurf machen konnte, er mißbrauche das Talent seiner Kinder für den eigenen Ehrgeiz.

In diesem Rahmen führte Felix zusammen mit seiner Schwester und unter Mitwirkung mehrerer Berliner Orchestermusiker am 14. November 1824 sein Konzert für zwei Klaviere in E-dur auf. Das Konzert trägt die Züge ein typischen Frühwerks, das einerseits seine musikalischen Vorbilder nicht verleugnen kann, das aber doch schon erkennen läßt, wohin die künstlerische Entwicklung dereinst gehen wird. Noch orientiert sich die Instrumentation an Mozart, Spohr und Weber (vor allem in der delikaten Behandlung der Bläser), und die pianistische Ausarbeitung lehnt sich an die virtuose und ornamentale Weitschweifigkeit eines Nepomuk Hummel oder John Field an. Was aber den thematischen Einfallsreichtum und die melodische Gestaltung angeht, so ist das E-dur-Konzert schon reinster Mendelssohn.

Als Felix Mendelssohn Bartholdy im April 1829 seine erste Englandreise antrat, befand sich befand sich die Partitur des Doppelkonzerts in seinem Reisegepäck. Am 11. Juli führte er zusammen mit dem befreundeten Pianisten Iganz Moscheles das Werk in London auf. Über die Probenarbeit schrieb er an seinen Vater:

Gestern hatten wir in der Clementischen Pianoforte-Fabrik die erste Probe, und ich amüsierte mich köstlich dabei, denn man hat keinen Begriff von unseren Coquetterien, und wie einer den andren fortwährend nachahmte. Das letzte Stück spielt Moscheles ungeheuer brillant, er schüttelt die Läufe aus dem Ärmel. Als es aus war, meinten alle, es sey so Schade, daß wir keine Cadenz machten, und da budelte ich gleich im letzten Tutti des ersten Stücks eine Stelle heraus, wo das Orchester eine Fermate bekommt, und Moscheles mußte nolens volens einwilligen, eine große Cadenz zu komponieren; wir berechneten nun, unter tausend Possen, ob das letzte kleine solo stehn bleiben könnte. Ich versprach ein tutti zu liefern, und so haben wir förmlich Maaß genommen, geflickt, gewendet und wattiert, Ärmel eingesetzt, und ein brillantes Concert zusammengeschneidert.

Danach hat Mendelssohn sein Interesse an dem Werk verloren. Weder bemühte er sich um einen Verleger, noch versah er das Konzert mit einer Opuszahl. Nach Mendelssohns Tod galten die handschriftlichen Noten als verschollen, bis sie 1960 in der Wissenschaftlichen Bibliothek in Ost-Berlin wiederentdeckt und veröffentlicht wurden.

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 in g-moll, op. 25

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In einem Brief an Robert Schumann schrieb Mendelssohn, das vom Publikum so geliebte g-moll-Konzert op. 25 sei ein

schnell dahingeworfnes Ding, das ich fast nachlässig zu Papier gebracht habe. Den Leuten scheint es am besten zu gefallen, obgleich mir selbst wenig.

Die Idee zu dem Klavierkonzert war ihm wohl im Sommer 1831 während seiner Italienreise gekommen; ausgearbeitet hat er es dann auf der Rückreise in München innerhalb von drei Tagen. Anlaß für die Komposition war ein großes Wohltätigkeitskonzert zugunsten der städtischen Armen- und Waisenhäuser, bei dem auch das bayerische Königspaar anwesend war:

Ich erhielt immer wieder sehr warmen Applaus. Das Orchester begleitete gut und die ganze Sache ging wie verrückt.

Nach dem Konzert wurde Mendelssohn in die Loge des Königs gebeten:

Hauptsächlich sagte der König zu mir, ich möchte doch Fräulein von Schauroth heirathen, das sey eine seh gute Partie und das müßte sehr gut passen und warum ich das nicht thun wollte?

Mendelssohn war der siebzehnjährigen, gut aussehenden Pianistin Dolphine von Schauroth ein Jahr zuvor begegnet und hatte nach eigenen Aussagen "heftig mit ihr geflirtet". Die Liebesglut war zwar inzwischen abgekühlt, aber immerhin war seine Zuneigung zu ihr doch noch so groß, daß er ihr das Klavierkonzert widmete.

Gelegentlich wird Mendelssohns Klavierkonzerten der Vorwurf gemacht, daß sie eher durch Virtuosität als durch musikalischen Tiefgang bestechen. Was die Kritiker dabei übersehen: mit welcher gestalterischen Sicherheit Mendelssohn - vor allem im g-moll-Konzert - neue kompositorische Ideen aufgreift und weiterentwickelt. Nicht nur, daß er die Sätze motivisch verknüpft und eng miteinander verzahnt (um damit den leidigen Zwischenapplaus zu unterbinden); weil er den starren Schematismus der doppelten Exposition durchbrechen will (wobei zunächst das Orchester die beiden Hauptthemen präsentiert, bevor sie dann vom Klavier noch einmal aufgegriffen werden) läßt Mendelssohn das Klavier nach einem kurzen Orchestercrescendo zu seinem ersten Solo mit vollgriffigen Akkorden einsetzen - ein Verfahren, das sich zunehmend größerer Beliebtheit erfreute und im Laufe des 19. Jahrhunderts erfolgreich von Schumann, Grieg und Tschaikowsky aufgegriffen wurde. Nach einem Fanfarenstoß der Hörner und Trompeten und einer kleinen, überleitenden Erwiderung des Solisten setzt ohne Unterbrechung der zweite Satz ein, dessen lyrischer Gestus an Mendelssohns Lieder ohne Worte erinnert. Der innige Charakter wird jäh unterbrochen durch einen weiteren Fanfarenstoß, der dann den Beginn des dritten Satzes markiert, eine großangelegte Improvisation für Klavier und Orchester. Gegen Ende klingt noch einmal das thematische Material aus dem ersten Satz an, womit das Ganze zu einer geschlossenen Einheit wird. Mendelssohn selbst spielte den dritten Satz gerne "so schnell wie möglich, vorausgesetzt, daß man alle Töne hören kann."

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 in d-moll, op. 40

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Das 2. Klavierkonzert in d-moll op. 40 komponierte Mendelssohn 1837 während seiner Hochzeitsreise. Die Uraufführung fand noch im selben Jahr im Rahmen des Birmingham Festivals statt, bei dem Mendelssohn auch sein "Paulus"-Oratorium zu Gehör brachte. Obwohl das Konzert von seiner Anlage her eine ausgeprägt symphonische Gestalt besitzt und das Klavier stärker in den Orchesterapparat eingebunden ist, dominiert doch über weite Strecken der Eindruck des bloß Virtuosen. An seinen Freund Ferdinand Hiller schrieb Mendelssohn aus England:

Mein neues Clavier-Konzert würdest Du, glaube ich, perhorreszieren.

Und in einem Brief an seine Schwester Fanny ist zu lesen:

Das Concert wirkt nicht sehr besonders als Composition, aber das letzte Stück macht soviel Effekt als Clavierfeuerwerk, daß ich oft lachen muß und Cécile [Jeanrenaud; seine Braut] es nicht oft genug hören kann.

Mendelssohn, der die Fingerakrobatik eines Kalkbrenners oder des jungen Franz Liszt zutiefst verachtete, der es liebte, "mit einer Zurückhaltung zu spielen, die offenbar in der Intention begründet war, nicht durch den Vortrag zu bestechen, sondern das Werk rein durch seinen Inhalt wirken zu lassen" (Hiller) - eben jener Mendelssohn scheint mit einem Male Spaß am brillanten Tastengeklingel gefunden zu haben. Selbst Robert Schumann, der Mendelssohn vor allen Angriffen in Schutz nahm, ließ vorsichtige Kritik anklingen:

So gehört auch dies Concert zu seinen flüchtigsten Erzeugnissen. Ich müßte mich sehr irren, wenn er es nicht in wenigen Tagen, vielleicht Stunden geschrieben. Es ist als wenn man an einem Baum schüttelt, die reife, süße Frucht fällt ohne Weiteres herab.
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