Czerny: Pianoforte-Schule ... op. 500,III

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9tes Kapitel. Über das brillante Spiel.

<58> Da jetzt so viele Compositionen mit dem Namen brillant (oder einen glänzenden Vortrag fordernd) bezeichnet werden, so ist es nöthig, die Eigenthümlichkeit und die Grenzen dieser Manier näher zu bestimmen.

Man wird einsehen, dass Jemand, der zu einer Versammlung spricht, oder gar öffentlich redet, (z:B: der Schauspieler) doch ganz anders sprechen muss, als Jemand, der nur mit einer oder mit einigen Personen ein ruhiges Gespräch führt.

Ohne eben immer viel lauter zu sprechen, oder gar zu schreien, muss er seine Stimme doch so weit erheben, und jedem Worte so viel Nachdruck geben, als die Zahl der Zuhörer und die Grösse des Locals nöthig macht, um nicht nur verständlich zu werden, sondern auch mit seiner Rede den beabsichtigten Eindruck zu machen.

Ein Clavierspieler, der sich in gleichen Fällen befindet, muss natürlicherweise dieselbe Rücksicht beobachten.

Wir haben in den früheren Abschnitten gezeigt, wie viele Arten von Ton man auf dem Fortepiano durch verschiedenen Anschlag und Kraft herausbringen kann, und wie demnach eine und dieselbe Stelle eben sowohl sanft und beruhigend, ja einschläfernd, und dagegen auch kräftig, aufregend und ermunternd vorgetragen werden kann.

Nehmen wir z.B: folgende Stelle:

[Notenbeispiel 58-1]

Lassen wir nun die Stelle so ruhig und sanft im gemässigten Tempo vor einer grösseren Anzahl von Zuhörern, (etwa in einem grossen Saale) vortragen: so wird sie allenfalls einen nicht unangenehmen Eindruck machen, aber doch gewiss nicht besondere Aufmerksamkeit oder gar Bewunderung erregen. Nehmen wir aber dagegeh an, dieselbe Stelle würde, unter gleichen Umständen, folgendermassen, (also rasch, kräftig, pickant, mit scharfer Betonung, und der, zum Staccato nöthigen Bewegung der Hand) vorgetragen.

[Notenbeispiel 58-2]

So wird diese Stelle nicht nur schwerer scheinen, sondern es auch wirklich sein. Sie wird (verhältnissmässig) mehr Aufmerksamkeit erregen; man wird finden, dass der Spieler die Sprünge in beiden Händen rein und fest in seiner Gewalt habe, dass er einen klaren, sprechenden Ton hervorzubringen wisse; ja er kann sogar schon einige Bravour im Vortrage derselben zeigen, und man wird darauf gespannt, noch mehr von ihm zu hören.

Er hat demnach brillant gespielt.

Wenn z.B: ein mittelmässig leichtes Concert (etwa von Dussek) auf die erste, ruhig sanfte Manier, und nur mit leisen und zarten Schattierungen öffentlich vorgetragen würde, so kann es allenfalls bei einem aufmerksamen Publikum eine angenehme Stimmung, aber gewiss keine besondere Wärme oder gar Enthusiasmus erwecken.

Aber man trage dasselbe Concert auf die zweite brillante Art vor, (womit aber keineswegs ein immerwährendes Forte gemeint ist, sondern nur im Allgemeinen die, diesem Spiel eigene klare und pickante Färbung) so wird die Wirkung zuverlässig aufregender und für den Spieler vortheilhafter sein, weil ein grösseres Publikum auf jeden Fall leichter zur Bewunderung als zur Rührung hingerissen werden kann.

<59> Es muss bemerkt werden, dass hier keineswegs davon die Rede ist, welche Spiel- Manier für jenes Concert die passendere, oder an sich die bessere ist, sondern nur davon, welche Wirkung man von beiden, nach allen Erfahrungen, auf ein gemischtes Publikum zu erwarten hat.

Wenn wir endlich den Fall setzen, dass in der ersten, ruhigen Manier ein guter Spieler ein Tonstück vorträgt, welches edel gehalten, vorzüglich aus gesangreichen, gefühlvollen Stellen besteht, und nur wenig oder gar keine Schwierigkeiten enthält, und daher auch nicht glänzend vorgetragen werden kann (wie z:B: Beethovens Quintett mit Blasinstrumenten, Op: 15.) - und wenn hierauf ein Spieler nachfolgte, der mit gleicher Vollkommenheit, aber in der brillanten Manier, ein Werk vorträgt, das mit allen Schwierigkeiten der neueren Schule alle Reitze der Abwechslung in den verschiedenen Behandlungsarten des Fortepiano darbiethet, (wie z:B: Hummels Septett in D moll) - so wird der Letztere, (abgesehen von dem musikalischen Werthe beider angeführten Tonwerke,) unstreitig als Spieler einen glänzenderen Eindruck machen, und einen rauschenderen Beifall von den zahlreicheren Zuhörern erlangen.

Durch diese Gegeneinanderstellung glauben wir klar genug gezeigt haben, worin der sogenannte brillante Vortrag, und der Unterschied zwischen demselben, und den andern Spiel-Manieren besteht.

Diejenigen Compositionen, welche schon auf dem Titel als brillant bezeichnet werden, so wie überhaupt der grösste Theil von Jenen, die für das öffentliche Produzieren geeignet sind, müssen demnach auf diese, ihnen entsprechende Art vorgetragen werden, und manches, in diesem Sinne sehr dankbare Tonwerk, würde seine ganze Wirkung verfehlen, wenn der Spieler aus Unbehülflichkeit oder falscher Auffassung dabei eine entgegengesetzte Manier anwenden wollte.

Die Eigenschaften des brillanten Vortrags bestehen daher vorzugsweise:

  1. In einem besonders klaren und markirten, wie auch kräftigern Anschlagen der Tasten, wodurch der Ton ausgezeichnet deutlich hervortritt. Daher ist jedes Staccato, und jedes stärkere Absondern der Töne in der Regel brillant; wogegen aber das strenge Legato zur entgegengesetzten Manier zu rechnen ist.
  2. In der Anwendung der Geläufigkeit bis zu den schnellsten Graden, welche alle dem Spieler zu Gebothe stehen müssen, und mit welchen stets die grösstmöglichste Deutlichkeit verbunden sein muss. Das sogenannte Wischen, (übereilt-undeutliches Herumfahren,) ist auf keinen Fall brillant.
  3. In der vollkommensten Reinheit auch bei den schwierigsten Stellen. Allerdings ist bei jeder Manier das Rein-spielen eine unerlässliche Erforderniss. Aber im brillanten Spiel ist es weit schwerer, weil die ganze Art des Anschlags, besonders bei Sprüngen und andern Schwierigkeiten eine weit sichrere Wurfkraft erfordert, und weil da jede falsche Taste zehnfach unangenehmer ins Gewicht fällt.
  4. In dem erhöhten Muth und der grösseren Zuversicht, die der brillante Spieler besitzen muss, um, besonders im grossen Locale, auf diese Art alles ausführen zu können. Daher gehört zu diesem Vortrage auch eine besondere Kraft und Elasticität der Nerven, deren Mangel die Übung allein nicht ersetzen kann.

Aber sehr irrig wäre es, wenn man glauben wollte, dass alles Brillante auch stark gespielt werden müsse, oder gar, dass alles, was man lärmend vorträgt, auch brillant sei.

Das brillante Spiel muss einer schön geordneten, durch viele tausend Lampen hervorgebrachten Beleuchtung, aber nicht der verwirrten Flamme eines Schwärmers im Feuerwerke gleichen.

Man kann und muss selbst in solchen Tonstücken, die beinahe ausschliessend für Glanz und Bravour geschrieben zu sein scheinen, alle Schattierungen des zarten, anmuthigen und eleganten Vortrags und innigen Ausdrucks anbringen, so wie es im Gegentheil selbst in den ruhigsten Compositionen einzelne Stellen gibt, wo das brillante Spiel, wenigstens bis zu einem gewissen Grade angewendet werden kann. So findet man in dem oben angeführten Beethovenschen Quintett manche Passage, die einen glanzvollen Vortrag erlaubt, und im Hummel-schen D-mol Septett viele zarte Melodien, harmonisch interessante ruhige Mittelsätze und elegante Verzierungen, welche mehr für den ruhigen Vortrag berechnet sind.

Das brillante Spiel findet in der Regel nur im schnellen Tempo statt; im Adagio ist es höchstens nur bei einzelnen Passagen anwendbar, welche durch ihre Gestalt und Anwendung dasselbe schicklicherweise möglich machen. Doch geschieht dieses selten.

Um sich das brillante Spiel anzugewöhnen, hat der Schüler vor Allem wieder die Scalen in allen Tonarten in diesem Sinne täglich zu üben, indem er sie mit möglichster Schnelligkeit, Deutlichkeit, Kraft, genauer Absonderung der einzelnen Töne, mit etwas straffer gespannten Nerven der Fingern, und doch dabei ruhig gehaltener Hand ausführt.

Ferner hat er vorzugsweise solche Compositionen zu studieren, welche eigends in dieser Manier geschrieben worden sind, und deren es jetzt eine grosse Auswahl gibt.

<60> Endlich muss er alles zu diesem Fache gehörige mit der Idee studieren, dass es zum Vortrag in grösseren Zirkeln, oder im öffentlichen Locale bestimmt sei, und dass er demnach sich einer grossen Anzahl von Zuhörern verständlich zu machen habe. Denn das brillante Spiel muss einer Schrift gleichen, die man auch in der Ferne lesen kann.

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