Czerny: Pianoforte-Schule ... op. 500,III

zurück | weiter

15tes Kapitel. Über die besondere Art des Vortrags verschiedener Tonsetzer und deren Werke.

<71> § 1. Der Gegenstand dieses Abschnitts kann wohl nicht besser dargestellt werden, als durch eine kurze Geschichte der Entwicklung des Fortepianospiels.

§ 2. Nachdem schon im Anfange des 18ten Jahrhunderts durch Sebast: Bach, Domenico Scarlatti, u.a.m. auf den damals üblichen Flügeln und Clavichorden, sowohl das gebundene Spiel, wie die Ausführung bedeutender Schwierigkeiten auf eine hohe Stufe gediehen war, (wobei vorzüglich Scarlatti als der Gründer des brillanten Bravourspiels anzusehen ist,) gewannen die, damals eben erfundenen Fortepiano (um 1770) an Mozart und Clementi zwei grosse ausübende Meister und Fortbildner.

Clementi, der sich ausschliessend dem Clavierspiel und der Composition auf diesem Instrumente widmete, kann vorzugsweise als der Gründer einer regelmässigen Schule angesehen werden, indem er das brillante Bravourspiel mit der Ruhe der Hand, Solidität des Anschlags, richtigem Fingersatz, Deutlichkeit und Anmuth des Vortrags zu vereinigen wusste, und zu seiner Zeit für den grössten Clavierspieler galt. Die grössten Meister späterer Zeit waren auf diesem Instrumente seine Schüler, und bildeten, nach ihrer Individualität, verschiedene Manieren und Schulen des Fortepianospiels.

Die damaligen englischen Fortepiano, welche eine vollen, lange singenden Ton, aber dabei einen tiefen Fall der Tasten, schweres Tractament, so wie eine Undeutlichkeit der einzelnen Töne beim schnellen Spielen, als eigenthümliche Eigenschaften besassen, veranlassten Dussek, Cramer, und einige Andere, zu diesem sanften, ruhigen, mehr auf Gesang berechneten Spiel, für <72> welches auch vorzugsweise ihre Compositionen berechnet sind, und welches man als Gegensatz der neueren klaren und brillant-pikanten Manier ansehen kann.

§ 3. Mozarts Manier, welche sich mehr dieser letztern näherte, und vorzüglich durch Hummel so trefflich vervollkommt wurde, eignete sich mehr für die deutschen Fortepiano, welche leichten und seichten Anschlag mit grosser Deutlichkeit vereinten, und sich demnach mehr für die allgemeine Verbreitung, so wie für den Gebrauch der Jugend eigneten.

Inzwischen erschien (um 1790) Beethoven, und entlocke dem Fortepiano durch ganz neue kühne Passagen, durch den Gebrauch des Pedals, durch ein ausserordentlich charakteristisches Spiel, welches sich besonders im strengen Legato der Accorde auszeichnete, und daher eine neue Art von Gesang bildete, - viele bis dahin nicht geahneten Effekte. Sein Spiel besass nicht jene reine und brillante Eleganz mancher andern Claviristen, war aber dagegen geistreich, grossartig, und besonders im Adagio höchst gefühlvoll und romantisch. Sein Vortrag war, so wie seine Compositionen, ein Tongemälde höherer Art, nur für die Gesammtwirkung berechnet.

§ 4. Die Vervollkommnung der Fortepiano, in welcher sich vorzüglich die Wiener-Instrumentmacher auszeichneten, gab bald den jüngern, mittlerweile sich bildenden Talenten Veranlassung noch eine andere Behandlungsart des Fortepiano theils zu entdecken, theils weiter auszubilden: nämlich die brillante Manier, welche sich, (um 1814) durch ein sehr markirtes Staccato-Spiel, durch eine vollendete Reinheit in Ausführung der grössten Schwierigkeiten, und durch äusserst ansprechende Eleganz und Zweckmässigkeit der Verzierungen auszeichnete, und bald durch die Kunst eines Hummel, Meyerbeer, Moscheles, Kalkbrenner, u:a: als die beliebteste und dankbarste anerkannt wurde.

§ 5. Diese Manier hat sich bis jetzt noch eine ruhigere Delikatesse, grössere Mannigfaltigkeit des Tons und Vortrags, mehr gebundenen Gesang, und eine noch mehr vervollkommnete Mechanik angeeignet, und dürfte gegenwärtig als die Vorherrschende angesehen werden.

§ 6. Wir können demnach folgende 6 Arten als eben so viele Hauptschulen annehmen:

  1. Clementi's Manier, welche sich durch die regelmässige Handhaltung, festen Anschlag und Ton, deutlichen geläufigen Vortrag, und richtige Deklamation auszeichnet, und zum Theil auf grosse Geschwindigkeit und Fertigkeit der Finger berechnet ist.
  2. Cramer's und Dussek's Manier: Schönes Cantabile; Vermeidung aller grellen Effekte, eine überraschende Gleichheit in den Läufen und Passagen, als Ersatz für die Geläufigkeit, die bei ihren Werken minder in Anspruch genommen wird, und ein schönes Legato, nebst Benützung der Pedale.
  3. Mozart's Schule: Ein klares, schon bedeutend brillantes Spiel, mehr auf das Staccato als auf das Legato berechnet; geistreicher und lebhafter Vortrag. Das Pedal selten benützt und niemals nothwendig.
  4. Beethoven's Manier:: Charakteristische und leidenschaftliche Kraft, abwechselnd mit allen Reizen des gebundenen Cantabile ist hier vorherrschend.
    Die Mittel des Ausdrucks werden hier oft bis zum Extremen gesteigert, besonders in Rücksicht humoristischer Laune. Die pikante, brillant hervorstehende Manier ist da nur selten anwendbar. Desto öfter sind da aber die Totaleffekte, theils durch ein vollstimmiges Legato, theils durch geschickte Anwendung des Fortepedals, u.s.w. anzuwenden.
    Grosse Geläufigkeit ohne brillante Prätension. Im Adagio schwärmerischer Ausdruck und gefühlvoller Gesang.
    Die Compositionen des F. Ries erfordern grösstentheils gleichen Ausdruck.
  5. Die neuere, durch Hummel, Meyerbeer, Kalkbrenner und Moscheles gegründete brillante Schule. Ihre Eigenthümlichkeiten sínd: vollkommene Beherrschung aller Schwierigkeiten; die grösstmöglichste Geläufigkeit; Zartheit und Grazie in den mannigfachen Verzierungen; die vollendetste, für jedes Locale berechnete Deutlichkeit; und eine richtige, für Jedermann verständliche Deklamation, verbunden mit elegantem und feinem Geschmack.
  6. Aus allen diesen Schulen beginnt sich gegenwärtig eine neue Manier zu entwickeln, welche man eine Mischung und Vervollkommnung aller Vorhergehenden nennen kann. Sie wird vorzüglich durch Thalberg, Liszt, Chopin, und andere jüngere Künstler repräsentirt, und zeichnet sich durch Erfindung neuer Passagen und Schwierigkeiten, (folglich neuer Wirkungen,) ferner <73> durch eine äusserst gesteigerte Benützung aller mechanischen Hilfsmittel, welche die nun so vervollkommneten Fortepiano darbiethen, ungemein aus, und wird, (so wie jede der frühern Arten zu ihrer Zeit,) der Kunst des Fortepianospiels ebenfalls wieder einen neuen Schwung geben.

§ 7. Aus dieser kurzen Darstellung wird der denkende Spieler leicht ersehen, dass jeder Tonsetzer in der Manier vorgetragen werden muss, in welcher er schrieb und man demnach sehr fehlen würde, wenn man die Werke aller eben genannten Meister auf eine und dieselbe Art vortragen wollte. Der Spieler, welcher zur Vollkommenheit gelangen will, muss den Compositionen eines jeden Tonsetzers, welcher eine Schule gründete, eine bedeutende Zeit besonders widmen, bis er nicht nur seinen Geist ergründet hat, sondern denselben auch getreu in der mechanischen Ausführung darzustellen weiss.

So, z:B: wäre die ruhig-sanfte und gemüthliche Eleganz, mit welcher eine Dussek'sche Composition vorgetragen werden soll, zur Ausführung eines Beethovenschen Werks, oder einer brillanten Composition der neueren Zeit bei weitem nicht hinreichend, - so wie in der Malerei zwischen Miniatur,- Pastell,- Fresko,- und Oel-Gemälden ein grosser Unterschied ist.

Dass ein genievoller, vollendeter Spieler in jede fremde Composition auch seinen eigenen Geist, seine eigene Eigenthümlichkeit legen darf, versteht sich von selber, vorausgesetzt, dass hiedurch der ursprüngliche Charakter des Tonstücks nicht entstellt wird.

zurück | weiter
nach oben