Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 3

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Die von Forkel angeführten Quellen aus älterer Zeit beginnen mit einem Werke von Doni (Giov. Batista, geb. 1616 [1593-1647]) und schließen mit einem von Rellstab (Joh. Carl Friedrich [1759-1813]): "Anleitung für Klavierspieler, den Gebrauch der Bach'schen Fingersetzung, die Manieren und den Vortrag betreffend." Berlin, 1790.

[Textzusatz der 8. Auflage]

Unter diesen [von Forkel erwähnten Klavierschulen des 18. Jahrhunderts] sind drei die bedeutendsten, und die Darlegung ihrer Inhaltes macht ein Eingehen auf die übrigen entbehrlich. Diese sind <49> von C.Ph.E. Bach, Marpurg und. Türk. Aber auch unter diesen macht das Werk von Türk den meisten Anspruch auf genauere Bekanntschaft. Ist Bach's berühmter "Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen" in Hinsicht auf Originalität als das erste gediegenere Werk dieser Art beachtenswerther, so faßt das Türk'sche Lehrbuch die Resultate desselben, sowie die Marpurgischen Erfahrungen doch mehr zusammen, ordnet und bereichert dieselben und verlangt, obschon nicht so epochemachend in Hinsicht der Ursprünglichkeit, von allen alten Schulwerken die genaueste Kenntnißnahme. Deßhalb sei es gestattet, etwas kürzer über die übrigen Werke zu berichten und nur den Inhalt der Türkschen Klavierschule ausführlich mitzutheilen.

C.Ph.E. Bach: Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen (1753)

Karl Philipp Emanuel Bach's "Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen"

ist 1753 zuerst, 1759 in der zweiten Auflage [I. Theil; 1762 II. Theil], hierauf erneuert 1782 und 1787, zuletzt in einer von Gustav Schilling revidirten, auf nicht zu rechtfertigenden Art neu behandelt erschienen [1855]. Haydn sagte von diesem Buche, daß es für alle Zeiten die Schule aller Schulen sei und bleiben werde; Clementi bekennt, daß er alles was er kann und wisse, seine neue Spielart, Applicatur, seinen sogenannten neuen Styl nur diesem Buche verdanke. Gerber's Lexikon nennt es das einzige klassische Werk in seiner Art, auch neuere, wie Fink und der zuletzt genannte Hausgeber desselben legen ein großes Gewicht darauf. - Es liegt indeß sein Hauptinteresse in der historischen Bedeutung, und unbegreiflich bleibt es, wie die letzte [Schillingsche] Ausgabe es unternehmen konnte, ein seinem absolut Inhalte nach unserer Zeit nicht mehr genügendes Werk seines historischen Schmuckes zu berauben, es unvollständig und im Gewande unserer Zeit dem Publikum vorzulegen. Sein Hauptverdienst liegt darin, daß es zum ersten Male in geistvollerer Weise die praktischen Erscheinungen des damaligen Klavierspiels einer theoretischen Analyse unterwirft. <50> Was ihm aber fehlt, ist systematische Gliederung, wissenschaftliche Abgrenzung des Stoffes und die Unterbringung desselben unter einheitliche ästhetische Gesetze. Es waltet eine beinahe aphoristische Form vor, und großentheils wird das zur Sprache gebracht, was nicht sein soll. Diese Umschweife konnten durch ein positiv gehaltenes System umgangen werden.

Das Werk zerfällt in zwei Haupttheile, wovon der erste das praktische Klavierspiel, der zweite die Lehre von der Begleitung, der freien Phantasie und der Harmonie behandelt. Man sieht schon aus diesen Ueberschriften, daß der Inhalt nicht einheitlich zusammengehört, daß Stoffe von allgemeinerer und speciellerer Bedeutung willkührlich aneinander gereiht sind. Als Accompagnateur Friedrichs des Großen legte der Verfasser auf die Begleitung ein Gewicht, welches im Interesse einer Klavierschule viel zu weit ausgeführt ist. Die Harmonie gehört der Kompositionslehre an, die Improvisation ebenso; die wissenschaftliche Abgrenzung ist mithin in Verwirrung gebracht. - Das Hauptgewicht fällt auf den ersten Theil, und dieser giebt folgende Abschnitte:

  1. von der Fingersetzung;
  2. von den Manieren;
  3. vom Vortrage.

Was in diesem Theile gesagt wird, ist allerdings wahr und richtig, und besthätigt das im ersten Kapitel von der Spielweise Seb. Bach's Bemerkte, daß nämlich die Natur der Hand in harmonischer Bethätigung ihrer Kräfte hier zum ersten Male erkannt ist, und dies in einer so treffenden Weise, daß es für alle Zeiten des Klavierspiels gültig bleibt. Nur ist es nicht vollständig, indem es den Spielorganismus auf die Finger allein beschränkt, und einen Theil ihrer Fähigkeiten, der sich auf die Tonbildung unserer Instrumente bezieht, unberücksichtigt lassen mußte. Auf andere Dinge, die heute zu den Elementen gehören, auf die Anwendung des Daumens z.B., wird wieder zu großes Gewicht gelegt. - Im ganzen herrscht hier, wie auch noch in der Schule von Türk, das Prinzip des Theoretisirens <51> in Dingen, die rein dem mechanischen Instinkt angehören. Der Czerny'sche Standpunkt hat hier das Richtige getroffen, und Alles, was der Mechanik angehört, durch zahllose Uebungen und das Prinzip der immer wiederkehrenden Repetitionen anzueignen gestrebt. Dieser Weg ist offenbar viel dankbarer und macht die Mühe, die Fingersetzung z.B. für alle möglichen Fälle in Regeln zu fassen - ein Unternehmen, was beiläufig niemals vollständig gelingt - überflüssig. Die Applicatur ist auf ein einziges Grundprinzip zurück zu führen, und weder in Bach's noch in Türk's bei weitem noch ausführlicheren Theorien ist die Behandlung übersichtlich, aus dem einfachen Grunde, weil sie zu weitschweifig ist.

Das zweite Kapitel behandelt die Manieren, d.h. die mannigfachen Arten der meist in klein gedruckten Noten, oder bestimmten Zeichen angedeuteten Verzierungen, welche in der älteren Literatur, theils aus Geschmack, theils um dem dürftigen Tone der Instrumente in anderer Weise zu Hülfe zu kommen, sehr bräuchlich waren, und glücklicherweise großentheils heut außer Cours gesetzt sind. Der kompositorische Geist hatganz andere Dinge in so sorgfältige Erwägung zu ziehen. Dieses nur in historischem Sinne interessante und noch heute grundlegende Kapitel wird bei Gelegenheit der Türk'schen Schule genauere Mittheilung erfahren.

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