Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 3

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L. Plaidy: Technische Studien

Einige Zeit früher als das zuletzt genannte Werk, nämlich in das Jahr 1852, fällt folgende Schrift:

Louis Plaidy's Technische Studien.

Auch diese, der Elementarbildung gewidmete Schule ist von anerkennenswerther Bedeutung. Wir finden hier zum ersten Male eine gut ausgeführte Theorie des Anschlags. Enthält dieselbe auch nur das von Czerny Gesagte, so ist doch die methodische Darstellung dieses Objektes in der Form bestimmter und übersichtlicher gefaßt. Plaidy unterscheidet vier Arten Anschlag:

  1. Den Legatoanschlag. Hier wird nur das erste Fingerglied zum Anschlagen verwendet; die übrigen dürfen weder eingeknickt noch ausgestreckt werden.
  2. Das Staccato. Dieses wird mit dem Handgelenk und bei leisen Stellen durch ein schnelles Zurückziehen der Finger, gleich nach dem Anschlage, ausgeführt. Manche Virtuosen spielen es mit dem Arme, <102> dies darf aber von den Schülern nicht nachgeahmt werden.
  3. Den Legatissimoanschlag. Während beim Legatoanschlag das präciseste Ablösen der Finger vorwalten muß, bleiben hier die Finger liegen. Dies ist nur bei akkordlichen Figuren anwendbar.
  4. Den getragenen Anschlag, bezeichnet durch einen Bogen über Staccatopunkten. Hier bringt ein gewichtiger Druck der Finger, welcher mit der Stärke des hervorzubringenden Tones wachsen muß, und mit geringer Hebung des Vorderarmes ausgeführt wird, die Tonbildung hervor. -

Wir werden im weiteren Verlaufe indeß sehen, daß diese Theorie nicht ausreicht. - Die Haltung des Körpers und Stellung der Hand beschreibt Plaidy ausführlicher als seine Vorgänger. "Der Spieler soll mitten vor der Klaviatur, und zwar so weit ab sitzen, daß seine Arme die Enden derselben bequem erreichen können." Diese Angabe ist allerdings genauer als die nach Zollen, die wir bei Marpurg, Türk, Hummel usw. kennen lernten. "Die Ellenbogen sollen ein wenig höher als die Tastatur liegen", dies ist wieder die veraltete Regel. "Dieselben müssen gegen die Seiten gewendet sein, ohne sie zu berühren. Die ganze Haltung soll möglichst ungezwungen sein. Die Handdecke und das erste Fingerglied müssen in gleicher Linie fortlaufen; die Knöchelgelenke dürfen weder in die Höhe stehen, noch eingezogen werden, die beiden vorderen Fingerglieder sind sanft gerundet, ohne mit den Nägeln die Tasten zu berühren. Der Daumen muß stets über den Tasten schweben, parallel mit seiner Taste gehalten werden, und die letztere mit der äußeren Seitenfläche berühren. Alte äußerlichen mechanischen Hilfsmittel sind zu verwerfen. - Bei der Tonleiter kommt eine Schwierigkeit in dem Unter- und Uebersetzen hinzu. Hier müssen die Hände ein wenig einwärts gebogen stehen und der Arm sich ein wenig vom Körper entfernen. Er geht gleichmäßig in der Bewegung der Hand mit. Der Daumen muß bereits beim Anschlage des zweiten Fingers unter <103> demselben stehen, wofern er untersetzen und sich im rechten Augenblicke aber seiner Taste befinden soll."

Das ganze Feld der Mechanik theilt Plaidy in zehn Kapitel:

  1. Uebungen mit stillstehender Hand auf fünf Noten ohne Stützfinger.
  2. Dieselben Uebungen mit festgehaltenen Noten.
  3. Fortrückende Uebungen ohne Untersatz.
  4. Fingerwechsel auf einer Taste.
  5. Tonleitern.
  6. Akkordfiguren.
  7. Gebundene Terzen, Quarten, Quinten (verminderte), Sexten, Oktaven.
  8. Chromatische Terzen, Quarten, Quinten usw.
  9. Handgelenkübungen.
  10. Trillerübungen.

Sieht man davon ab, daß Nr. 10 in 1, Nr. 8 in 7 mit vereinigt werden konnte, so ist diese Uebersicht erschöpfend, und verdient vor den früheren den Vorzug. Am Ende des Werkes wird vom melodiösen Spiel gesprochen, was ebenfalls unter die Lehre vom Anschlag mit aufzunehmen war. Die Regeln über den Vortrag lagen nicht in dem Plane des Werkes und werden daher kurz abgefertigt. "Man solle gute Musik fleißig hören."

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