Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 16

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Andererseits ist das Accelerando da motiviert, wo es auf Abwechselung des Brillanten mit dem Ruhigen ankommt. Für diesen Fall ließen sich zahlreiche Beispiele anführen; jedes Passagenwerk, das nach Cantilenen eintritt, wie dies in Konzerten u. dgl. häufig geschieht, darf sich einen leichten Anflug von Beschleunigung geben. Es muß freilich im Allgemeinen mit Besonnenheit der Charakter des ganzen Werkes geprüft und der Reiz der Ruhe und Klarheit nicht so leicht dem blos brillanten Effekte untergeordnet werden. In den meisten Fällen beruhigt sich ein solches Vorgehen im Tempo weiterhin wieder; selten stürzt es kopfüber in den haltlosen Taumel immer zunehmender Schnelligkeit. Ist die Steigerung nothwendig, so sorgt der Komponist durch besondere Prestosätze oder Abschnitte für deren Ausdruck. - Ein leichter Anflug von Accelerando ist ferner da berechtigt, wo inhaltleere Stellen sich zwischen gedankenreichere einschieben; ein Fall, der nicht allein bei Begleitungen eintritt, die bedeutungslos die Pausen der Hauptstimme ausfüllen, sondern der selbst im Flusse von lauter Passagen für diejenigen Stellen Beachtung verdient, die auf das Interesse weniger Anspruch machen als andere. Beispiele:

Mendelssohn, Praeludium E-moll Op. 35.

[Notenbeispiel S. 343, Nr. 2: Mendelssohn, Präludium op. 35]

<344> ferner aus Schumanns G-moll-Sonate I. Satz die 8 Takte vor dem Eintritt des Baßthema's

[Notenbeispiel S. 344, Nr. 1: Schumann, Klaviersonate op. 22 - 1. Satz]

etwa auch der modulirende Zwischensatz der Fis-dur-Romanze gleich hinter dem Thema. Dahin gehören ferner die meisten im Takt gehaltenen freien Cadenzen bei Liszt, Raff u.a.m.

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