Kullak: Ästhetik des Klavierspiels - Kap. 17

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Der Gesang ist endlich keineswegs blos in gebundenen Noten auszudrücken. Es giebt eine Menge feinster Staccatostellen, die durchaus melodiös wirken sollen. In solchem Falle muß der Fingerdruck neben den sonst nothwendigen charakteristischen Kennzeichen der hier üblichen Mechanik, gleichfalls angewendet werden, was bei leiser Tongebung eine feine Fingerspitze erfordert. Der Mittelsatz der Beethovenschen Sonate in G-dur Op. 14 [Nr. 2] giebt den ganzen ersten Theil des Themas staccato, dem non legato angenähert, und zwar mit ganz feiner, leiser Tonbildung. So sehr aber auch der ganze Anschlag piano gehalten wird, muß doch der obere Ton jedes Akkordes gesanglich ein wenig vor den übrigen Intervallen heraustreten. Auch Passagen in feinem Staccato verlangen hie und da einen gesanglichen Hauch.

Was nun die Staccatoarten in ihrer Besonderheit betrifft, so läßt sich freilich nicht allgemeingültig bestimmen, welchen dieser feinen Klangreize der geschmackvolle Spieler für die jedesmalige Stelle anzuwenden hat. Nur das Eine steht außer Zweifel, daß für die größte Tongebung das Staccato mit dem Arme, für die leiseste das mit der Fingerspitze am geeignetsten sein wird. Die feineren Staccatostellen sind aber in vielen Fällen mit dem Handgelenk, mit dem Fingergelenk, oder mit Combinationen dieser Gelenke auch recht wohl zu erreichen, ja bei schnellerem Passagenfluge sogar besser auszuführen als mit der Fingerspitze allein. Besonders combinirt sich das Handgelenk sehr glücklich mit dem Fingerspitzenstaccato, auch wohl der Wurf des ganzen Fingers mit der Fingerspitze. Oktavenstaccato erhält <353> das Handgelenk. Die Hauptsache ist bei jeder dieser Arten die vollendete Weichheit der Mechanik, die bei allen Stärkegraden ihre Elasticität bewahrt. Geht bei sonst einheitlichem Passagenflusse einmal eine Art in die andere über, so muß die Gleichheit des Klanges erhalten bleiben. - In folgender Stelle aus Beethovens Op. 31 (Es-dur-Sonate) wird vorwiegend die Fingerspitze mit dem ganzen Finger das Staccato ausführen; bei dem wiederholten es hingegen das Handgelenk verwendet werden. Im Klange darf aber - das Crescendo abgerechnet - keine Ungleichheit der Tonbildung bemerklich sein.

[Notenbeispiel S. 353, Nr. 1: Beethoven, Klaviersonate op. 31,3 - 3. Satz]

Betreffs der anderen Anschlagsfarben ist im mechanischen Theile das Nothwendige gesagt. Das Carezzando mit dem Streicheln der Taste wird vorwiegend weich sentimentalen Stellen zukommen; es dürfte sich kaum bei Beethoven ein geeignetes Beispiel für solchen Anschlag nachweisen lassen. Von guten Komponisten würden Mendelssohn allenfalls und Chopin Anwendung davon machen können, jener in so manchem fein duftigen Liede ohne Worte, z.B. im Frühlingsliede, dieser im Gesange einiger Notturnos, die sich dem Materiellen zu entziehen und dem Aether entgegenzuschweben scheinen. Im Ganzen wird es nur vorübergehend eintreten. Durchgeführt paßt es sich nur in den übersentimentalen Gedanken der blasirteren und gehaltloseren Modernität, obwohl ihm, wie bemerkt, sinnlicher Reiz nicht abzusprechen ist.

Das getragene Halbstaccato ist eine Anschlagsfarbe von bedeutsamer Wirkung. Im feinsten piano wie im stärksten Klange ertheilt es den Tönen eine eigenthümliche Wichtigkeit, eine nachdrückliche Declamation, die schon durch ihre Symbolik und durch das <354> Trennen zusammengehöriger Tonreihen den Einzelelementen Bedeutung ertheilt.

Wir stellen zwei Beispiele zusammen. Das eine von Mendelssohn im dritten Liede ohne Worte (II. Heft [op. 30,3]) verwendet diesen Anschlag im Sinne zartesten Liebreizes, das andere aus der Es-dur-Sonate von Beethoven Op. 31 in inhaltsschwerer Bedeutung:

[Notenbeispiel S. 354, Nr. 1: Beethoven/Mendelssohn]

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