Mattheson: Der vollkommene Capellmeister

Teil 1, Kap. 2

zurück | weiter

2. Von den Dingen, die man nothwendig vorher einsehen, und zum Grunde legen muß, ehe zur Sache geschritten wird. [§. 1-40]

<3> [...]

<5> §. 15. [...] Musica ist eine Wissenschafft und Kunst, geschickte und angenehme Klänge klüglich zu stellen, richtig an einander zu fügen, und lieblich heraus zu bringen, damit durch ihren Wohllaut GOttes Ehre und alle Tugenden befördert werden.

§. 16. [...]

§. 17. Mit der Wissenschafft ist es allein nicht ausgerichtet; die Kunst wird gleichfalls dazu erfordert. Niemand kan lieblich singen oder spielen, wenn sein Gesang nicht vorher klüglich verfertiget und gleichsam abgemessen worden, es geschehe in Gedancken oder auf dem Papier. Also sind zwar geschickte und angenehme Klänge die Materie; aber sie müssen künstlich angeordnet und aufs beste heraus gebracht werden, worin eigentlich die Form bestehet. [...]

§. 18. Mancher dürffte dencken, geschickte und angenehme Klänge enthielten etwas überflüßiges. Allein es kan ein Ding angenehm seyn, und sich doch nicht füglich schicken, als wie eine fröliche Melodie zu traurigen Worten. Hergegen können viele Sachen geschickt seyn, und doch an und für sich selbst eben keine Anmuth haben, als wie die Dissonanzen.

[...]

<6> §. 22. Durch die erste Art, nehmlich die sogenannte Welt=Music, verstunden sie [die Weltweisen] die Zusammenfügung aller sichtbaren himmlischen Körper: Sonne, Mond, Sterne etc. die Vermischung der Elementen, ja den gantzen Welt=Bau. Die zweite Art, nehmlich die Mensch=Music, bedeutete die Vereinigung menschlicher Seelen und Leiber; die Verhältnisse eines Gliedes mit dem andern; die Ordnung und Kreis=Kette aller Wissenschaften und Künste, aller Reiche, Stände, Staaten u.s.w. Die dritte Art endlich, nehmlich die Werk=Music, war eben dasjenige, warum [worum] sich Tonweise, Sänger und Spiel=Künstler noch itzo bemühen, das klingende und vornehmlich das singende Wesen, dessen Untersuchung unsrer vorhandenen Arbeit zum Unterwurff dienet, welches der Sinn des Gehörs, und durch denselben die Vernunfft begreifft, einfolglich wovon diese letztgenannte ihr Urtheil fällt, in so weit es mit dem Sinne übereinkömmt. Denn es ist gar nichts im Verstande, was nicht vorher in die Sinne gefallen ist.

§. 23. Da nun weder von der oberwehnten Welt=Music, noch von der angeführten und erklärten Mensch=Music das geringste in die Ohren fällt; so haben wir in diesem Stücke oder Buche nichts damit zu schaffen, sondern halten uns einig und allein an die sogenannte wirckliche oder Werck=Music.

§. 24. Wir wollen demnach bloß zeigen und lehren, wie eine solche Music zu verfertigen, und in die Ausübungs=Wege zu richten sey, die dem Sinn des Gehörs, das in der Seelen wohnet, durch die Werckzeuge der Ohren gefalle, und das Hertz oder Gemüth tüchtig bewege oder rühre. Hiezu brauchen wir keiner andern Eintheilung, als der theoretischen und practischen; deren erste nur mit innerlichen Betrachtungen und Erwegungen zu thun hat; die zweite aber Hand anleget, und das erwogene äusserlich ins Werck setzet.

§. 25. Diesem zu Folge theilet man die Music am besten so ein: erstlich in diejenige Wissenschafft, welche die Klänge für sich selbst unterrsuchet, und mittelst gewisser Regeln, zum Wollaut einrichtet. (Das ist ein Stück der Theorie.) Hernach in diejenige Kunst, dadurrch man solche Klänge entweder mit dem Halse oder mit klingenden Werckzeugen ausdrücket. (Das ist die Praxis gewisser massen.)

[...]

zurück | weiter
nach oben