Mattheson: Der vollkommene Capellmeister

Teil 2, Kap. 13 [Seite 24 von 41]

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Marsch

§. 95. Unsre nächste Betrachtung fällt auf den Marsch, oder

V. La Marche, welcher entweder

Seine rechte Eigenschafft ist was heldenmüthiges und ungescheutes; doch nichts wildes oder lauffendes. Daher ist es unrecht gehandelt, wenn man aus allerhand Melodien Marsche machen will. Gemeine Dutzend=Componisten stehen in den Gedancken, ein Marsch könne niernahls lustig genug seyn: traurig, kläglich, jämmerlich und weinend darff man ihn eben nicht machen; doch auch nicht auf den Sprung. Ein Marsch ist eigentlich kein Tantz: und wenn er in Schauspielen gebraucht wird, schreiten die Personen nur gantz langsam daher, ohne tantzen, hüpffen oder springen; doch figuriren sie unter einander, welches wol zu sehen ist, absonderlich von Gewafneten oder Kriegesleuten.

<227> §. 96. Auch hindert es der Ernsthafftigkeit einer solchen Melodie mit nichten, wie manche wähnen, wenn sie gleich die ungerade Tact=Art führet. Lully hat sehr viele Marsche in der ungeraden Zeit=Maasse gesetzet; sich aber stets dabey die stoltzen Abzeichen und das kriegerische Wesen äusserst angelegen seyn lassen. Wie gar zu viel Feuer keinen wahren Held macht; sondern ein gantz unverzagtes, festes Gemüth schier durch nichts beweget, oder aus seinem eigentlichen Sitz gebracht wird, indem es sonst aller klugen Entschliessung gute Nacht saget, und der Hitze den Zügel schiessen läßt; also kan ein melodischer Setzer sich hieraus schon ein Bild machen, nach welchem seine Marsche keinen lodernden Brand, sondern eine muthige Wärme in sich halten müssen.

§. 97. Nun gibt es zwar Fälle, da auch die Marsche ihre Eigenschafft verändern, und sich nach gewissen Umständen einrichten lassen müssen: denn wenn ich z. E. einen Hauffen Arlequins oder andre lustige Brüder, mit einer ernsthafften Melodie einführen wolte, würde solches ungereimt herauskommen; ie lächerlicher der Marsch bey solcher Gelegenheit ausfällt, ie besser ist er. Und dazu gehört auch ein eigenes Abzeichen. Habe ich aber nicht mit satyrischen Personen, sondern mit tapffern Soldaten zu thun, so muß mein Marsch was gesetztes und unerschrockenes darlegen.

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