Mattheson: Der vollkommene Capellmeister

Teil 2, Kap. 13 [Seite 26 von 41]

zurück | weiter
Gique

§. 102. Diesen ernsthafften Melodien mag nun auch wiederum was frisches und hurtiges folgen, nehmlich

VII. Die Gique [Gigue], mit ihren Arten, welche sind

<228> Die gewöhnlichen oder Engländischen Giquen haben zu ihrem eigentlichen Abzeichen einen hitzigen und flüchtigen Eifer, einen Zorn, der bald vergehet. Die Loures oder langsamen und punctirten zeigen hergegen ein stoltzes, aufgeblasenes Wesen an: deswegen sie bey den Spaniern sehr beliebt sind: die Canarischen müssen große Begierde und Hurtigkeit mit sich führen; aber dabey ein wenig einfältig klingen. Die welschen Gige endlich, welche nicht zum Tantzen, sondern zum Geigen (wovon auch ihre Benennung herrühren mag) gebraucht werden, zwingen sich gleichsam zur äussersten Schnelligkeit oder Flüchtigkeit; doch mehrentheils auf eine fliessende und keine ungestüme Art: etwa wie der glattfortschiessende Strom=Pfeil eines Bachs.

§. 103. Alle diese neue Anmerckungen haben ihre Absicht nicht sowol ins besondere auf den völligen Begriff der blossen Täntze, als auf die Entdeckung des darin steckenden Reichthums und dessen gescheute Anwendung, bey einer Menge andrer und wichtiger=scheinenden Dinge: absonderlich bey feinen Singsachen und Ausdrückung der Leidenschafften allerhand Art; alwo unzehlbare ja unglaubliche Erfindungen aus diesen unansehnlichen Quellen hervorkommen. Man dencke dieser Erinnerung nur recht nach.

§. 104. Da gibt es, so wie von einigen der übrigen Melodie=Gattungen auch Arietten a tempo di giga zum Singen: vonehmlich auf die Art der Loures, die keine unangenehme Wirckung thun. Mit der blossen Giquen=Weise kan ich schon vier Haupt=Affecten ausdrücken: den Zorn oder Eifer; den Stolz; die einfältige Begierde und das flüchtige Gemüth. Die Einfalt der canarischen Giquen wird insonderheit dadurch ausgedruckt, daß alle vier Absätze und Wiederkehrungen immer im Haupt=Ton, und in keinem anderen schließen.

zurück | weiter
nach oben