Mattheson: Der vollkommene Capellmeister

Teil 2, Kap. 13 [Seite 32 von 41]

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Courante

§. 121. Jedermann wird wissen, daß es eine Gattung von Instrumental= Tantz= und Sing=Melodien gebe, mit Nahmen

XIII. Die Courante, oder Corrente. Man hat deren

<231> Wenn die Courante getantzt werden soll, findet sie ihre unumstoßliche Regel, die der Componist genau in Acht nehmen muß, wenn er sie aus dem Orchester, aus dem Niedt &. ersehen hat. Kein andrer Tact, als der Dreihalbe 3/2 hat dabey Statt.

§. 122. Soll aber diese Melodie dem Clavier dienen, so wird ihr mehr Freiheit vergönnet; auf der Geige (die Viol da Gamba nicht ausgeschlossen) hat sie fast keine Schrancken, sondern suchet ihrem Nahmen, durch immerwährendes Lauffen, ein völliges Recht zu thun: doch so, daß es lieblich und zärtlich zugehe. Die Sing=Couranten kommen der Tantz=Art am nähesten; ob sie wol eigentlich nur das tempo di Corrente, die Bewegung, und eben nicht die gantze Form derselben gebrauchen.

§. 123. Der Lautenisten Meisterstück, absonderlich in Franckreich, ist gemeiniglich die Courante, worauf man auch seine Mühe und Kunst nicht übel anwendet. Die Leidenschafft oder Gemüths=Bewegung, welche in einer Courante vorgetragen werden soll, ist die süsse Hoffnung. Denn es findet sich was hertzhafftes, was verlangendes und auch was erfreuliches in dieser Melodie: lauter Stücke, daraus die Hoffnung zusammengefüget wird.

§. 124. Weil dieses vieleicht noch kein Mensch gesagt, auch wol schwerlich gedacht haben mag, so wird mancher meinen, ich suchte etwas in diesen Dingen, das nicht darin zu finden, sondern in meinem eignen Gehirn jung geworden sey. Aber ich kans einem ieden fast handgreifflich vor Augen legen, daß obige drey Umstände, einfolglich der daraus bestehende Affect, in einer guten Courante anzutreffen sind, und seyn müssen. Laßt uns eine alte, sehr bekannte Melodie dazu aussuchen: denn die neuen fahren nicht nur aus der Gleise; sondern man mögte auch einwerffen, ich hätte sie selber nach meinem Sinn so gemacht und eingerichtet, nur zur Behauptung des obigen Satzes von der Hoffnung. Ich bin gewiß Versichert, wenn die Liebhaber der Laute ihre Couranten untersuchen, sie werden es eben so wahr, als bey folgender, befinden.

§. 125.

[Notenbeispiel S. 231]

§. 126. Bis an die Helffte des dritten Tacts, wo das + stehet, ist was hertzhafftes in dieser Melodie, absonderlich gleich im allerersten Tact: Das wird niemand leugnen können. Von da bis an die Helffte des achten Tacts, wo eben dasselbe Zeichen des Kreutzes befindlich ist, äussert sich ein Verlangen; bevorab in den drittehalb letzten Täcten, und mittelst der wiederholten Cadentz in die Quint unterwärts; endlich erhebt sich gegen das Ende eine kleine Freude, zumahl im neunten Tact.

§. 127. Eine ziemliche Anzahl solcher Couranten, darunter viele noch besser, und im geometrischen Verhalt richtiger, sind von mir auf diese Art untersuchet worden; Aber alle von ächten und bewährten Verfassern, die es aus natürlichem Triebe, par instinct, ohne Absicht und Vorsatz getroffen haben. Und es hat sich immer die Wahrheit dessen, was ich hier von der Gemüths=Bewegung, anführe, darin erwiesen. Ich könnte gar leicht von allen andern Gattungen solche Proben beibringen und aus einander legen; Aber so würden wir die uns gesetzte Schrancken weit überschreiten.

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