Quantz: Anweisung - Kap. 10

Das X. Hauptstück.
Was ein Anfänger, bey seiner besondern Uebung, zu beobachten hat.

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<90> §. 3. [...] Ein Anfänger muß sich hüten, daß er mit dem Kopfe, Leibe, oder Armen keine unnöthigen und ängstlichen Geberden mache: als welches, ob es gleich zur Hauptsache nicht gehöret, dennoch bey den Zuhörern einen Ekel verursachen kann. [...]

[...]

<93> §. 11. Es ist keinem Anfänger zu rathen, sich vor der Zeit mit galanten Stücken, oder gar mit dem Adagio einzulassen. Die wenigsten Liebhaber der Musik erkennen dieses; sondern die meisten haben eine Begierde da anzufangen, wo andere aufhören, nämlich mit Concerten und Solo, worinn das Adagio mit vielen Manieren, welche sie doch noch nicht begreifen, ausgezieret wird. [...]

§. 12. Es ist deswegen auch übel gethan, wenn ein Anfänger, ehe er sich noch eine Sicherheit im Tacte und im Notenlesen zuwege gebracht hat, sich öffentlich will hören lassen. Denn durch die Furcht, welche aus der <94> Ungewißheit entstehet, wird er sich viele Fehler angewöhnen, wovon er sich nicht so leicht wieder befreyen kann.

§. 13. Nachdem sich nun ein Anfänger eine geraume Zeit, auf die oben beschriebene Art, mit der Zunge, den Fingern, und im Tacte geübet hat; so nehme er sich solche Stücke vor, die mehr singend sind als die obengedachten, und wo sich sowohl Vorschläge als Triller anbringen lassen: damit er einen Gesang cantabel und nourissant, das ist mit unterhaltener Melodie, spielen lerne. Hierzu sind die französischen, oder die in diesem Geschmacke gesetzeten Stücke viel vorteilhafter, als die italiänischen. Denn die Stücke im französischen Geschmacke sind meistentheils charakterisiret, auch mit Vorschlägen und Trillern so gesetzet, daß nichts mehr, als was der Componist geschrieben hat, angebracht werden kann. Bey der Musik nach italiänischem Geschmacke aber, wird vieles der Willkühr und Fähigkeit dessen der spielet, überlassen. In diesem Betrachte ist auch die französische Musik, wie sie in ihrem simplen Gesange mit Manieren geschrieben ist, wenn man nur die Passagien ausnimmt, sklavischer und schwerer auszuführen, als nach itziger Schreibart die italiänische. [...]

§. 14. Er nehme also, nach der im vorigen §. gegebene Anweisung, wohl ausgearbeitete, und von gründlichen Meistern verfertigte Duetten und Trio, worinne Fugen vorkommen, zur Uebung vor, und halte sich eine geraume Zeit dabey auf. Es wird ihm zum Notenlesen, zu Haltung des Tactes, und zum Pausiren sehr dienlich seyn. Vorzüglich will ich Telemanns, im französischen Geschmacke gesetzte Trio, deren er viele schon vor dreyßig und mehrern Jahren verfertiget hat, wofern man ihrer, weil <95> sie nicht in Kupfer gestochen sind, habhaft werden kann, zu dieser Uebung vorschlagen. Es scheint zwar die sogenannte gearbeitete Musik, und besonders die Fugen, itziger Zeit, sowohl bey den meisten Tonkünstlern, als Liebhabern, gleichsam als eine Pedanterey in die Acht erkläret zu seyn: vielleicht weil nur wenige den Werth und den Nutzen derselben einsehen. [...]

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