Riemann: Klavierschule op. 39,1

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Kap. 11 [Seite 3 von 12]

Wie der im Lesen geübtere nicht mehr die einzelnen Buchstaben liest, sondern in einem Moment wenigstens silbenweise dieselben zusammenfasst, so werden auch die musikalischen Silben [FN], die Taktmotive, gleichzeitig oder doch in directem Anschluss aufgefasst und es verräth sich jederzeit deutlich im Ausdruck, wie der Spieler gelesen hat.

Ob man liest

Notenbeispiel S. 47, Nr. 1

oder

Notenbeispiel S. 47, Nr. 2

ist sofort aus dem Spiel herauszuhören. Die letztere Lese- und Spielweise ist darum geboten, weil die [punktierte Viertel] es und d Akkordtöne und nicht Vorhalte sind; im Gegentheil sind die [Achtel] f und es harmoniefremde Töne (Anticipationen aus der folgenden Harmonie).

Es gilt also vor allem, dass der Spieler sich der Neigung, immer und überall von Taktstrich zu Taktstrich zu lesen, erwehrt; erklärlich genug ist ja diese Neigung: da das Auge einen Anhalt sucht, so nimmt es in Ermangelung eines anderen bessern <48> den ersten sich darbietenden und das ist ohne Zweifel der grosse, aufdringliche Taktstrich; dazu kommt noch, dass stets die Noten durch Querstriche vereinigt werden, welche vom Taktstrich ab gerechnet einen grösseren Notenwerth (Viertel, Halbe) ausmachen. Die Herausgeber thun noch ein übriges, diese Hemmnisse der richtigen Auffassung zu vermehren, indem sie durch Bögen [FN] die zu einem Takt oder zu einer Takthälfte etc. zusammengehörigen Töne zusarnmenschliessen, z.B.

Notenbeispiel S. 48, Nr. 1

statt:

Notenbeispiel S. 48, Nr. 2

oder, wenn wir die Taktmotive zu Phrasen zusammenziehen und ihre Einzelgrenzen nur durch das Lesezeichen | markieren:

Notenbeispiel S. 48, Nr. 3

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