Riemann: Klavierschule op. 39,1

Fußnoten

Seite 1, Fußnote:
Ph.E. Bach, Versuch über die wahre Art das Klavier zu spielen (1757), S. 15: "Ein Klavierist muss mitten vor der Tastatur sitzen".

D.G. Türk, Klavierschule (1789): "Man muss gerade vor dem eingestrichenen c sitzen".

A.E. Müller, Fortepianoschule (7. Aufl., 1818): "Der Schüler sitze mitten vor der Klaviatur".

J.N. Hummel, Ausführliche theoretisch-praktische Anweisung zum Pianofortespiel (1828), S. 13: "Der Schüler sitzt mitten am Klavier".

Fr. Kalkbrenner, Méthode du Piano, S. 26: "Bei Instrumenten mit 6 1/2 Oktaven muss man gerade vor dem eingestrichenen g sitzen".

J.L. Dussek, The art of playing the Pianoforte (1797) wählt c' als Orientierungspunkt, das beim damaligen 5oktavigen Klavier etwas nach links gelegen ist, angeblich zur Erleichterung des Spiels der linken Hand (s. Fétis, Méthode des Méthodes, S. 23), in Wahrheit wohl, weil dieser Ton der für die Orientierung geeignetste ist.

Köhler, Systematische Lehrmethode für Klavierspiel und Musik (I. Theil, 1856), S. 15: "Der Sitz ist inmitten vor dem Klaviere, also etwa zwischen der mittelsten 2- und 3-Obertastengruppe".

Lebert und Stark, Grosse theoretisch-praktische Klavierschule, Einl. S. XXIX: "der Sitz ist vor der Mitte der Klaviatur zu nehmen".

H. Germer, "Wie spielt man Klavier" (1882), S. 3: "Der Spieler wähle seinen Platz vor der Mitte der Klaviatur; als solche ist bei einem Instrumente von 7 Oktaven das (eingestrichene) es' zu bezeichnen".
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Seite 4, Fußnote:
Ph.E. Bach, a.a.O., S. 15: "Hängt der Vordertheil des Armes ein weniges nach dem Griffbrette herunter, so ist man in der gehörigen Höhe".

D.G. Türk a.a.O. (1789), S. 25: Man darf weder zu hoch noch zu niedrig sitzen, sondern so, dass der Ellenbogen merklich, d.h. einige Zoll höher ist als die Hand. ... denn es ermüdet sehr und hemmt die nöthige Kraft beim Spielen, wenn man die Hände so hoch oder höher als den Ellenbogen halten muss, weil dadurch die Nerven gespannt werden."

A.E. Müller a.a.O. (1818), S. 4: "Der Sitz des Spielers sei von der Höhe, dass der Ellenbogen bei natürlich am Körper herabhängenden Armen etwas höher zu liegen kommt als die Klaviatur".

Fr. Kalkbrenner a.a.O., S. 26: "Die Lage des Ellbogens muss höher als die der Untertasten und tiefer als die der Obertasten sein; denn sitzt man zu hoch, so spielt man mit dem Arm, während man an Kraft verliert, wenn man zu tief sitzt". (Folgt eine Empfehlung des "Handleiters").

Fétis und Moscheles, Méthode des Méthodes, (1837), S. 23: "Die Höhe seines Stuhles muss seiner Grösse angemessen und so beschaffen sein, dass sein Vorderarm sich gegen die Klaviatur leicht abwärts neige".

Villoing, Theoretisch-technische Lehre des Klavierspiels, S. 46: "Man soll weder zu hoch noch zu niedrig sitzen; die Ellbogen müssen wenigstens einen Zoll weit vor dem Körper zu stehen kommen und die Arme in der Höhe der zwei ersten Gelenke des dritten gestemmten Fingers auf der Klaviatur emporgehalten werden, - (S. 47) Die Hand und der Arm müssen bis zum Ellbogen gleich einer Horizontallinie sich verhalten".

Köhler a.a.O. (1856): "Die Höhe des Sitzes ist genau dem Verhältnisse der Körperbildung des Spielers zur Klaviaturhöhe anzupassen, so nämlich, dass beim Sitzen, während die Fingerspitzen auf den Untertasten ruhen, der Vorderarm eine wagerechte Linie bildet. Das übelste würde sein, wenn die Handdecke bei einer tieferen Lage als der Arm, vom Druck des letztern beeinflusst würde".

Lebert und Stark a.a.O. "Ellenbogen, Handgelenk und Hand liegen in möglichst gerader Linie etc." (wie Kalkbrenner; folgt Empfehlung des Bohrer'schen "automatischen Handleiters").

Plaidy, Technische Studien, S. 4: "Der Sitz sei so hoch, dass die Ellenbogen ein wenig über die Klaviatur zu liegen kommen".

Germer a.a.O., S. 3: "Die Höhe des Sitzes ist abhängig von der Länge des Oberarmes. Derselbe hänge frei am Körper herab, ohne jedoch die Seiten desselben zu berühren. Stellt man alsdann die Finger auf die Tastatur (doch ohne sie niederzudrücken), so müssen die Fingerspitzen mit der Ellenbogenspitze in einer horizontalen Linie liegen" (in dem darauf folgenden Satze muss es heissen höher statt niedriger)
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Seite 5, Fußnote:
Ph.E. Bach a.a.O. (1753), S. 15: "Man spielet mit gebogenen Fingern und schlaffen Nerven (Sehnen); je mehr insgemein hierin gefehlt wird, desto nöthiger ist hierauf acht zu haben. Die Steife ist aller Bewegung hinderlich, besonders dem Vermögen, die Hände geschwind auszudehnen und zusammenzuziehen, welches alle Augenblicke nöthig ist".

D.G. Türk a.a.O. (1789). "Die drei längern (mittlern) Finger müssen immer etwas eingebogen, der Daumen und kleine Finger aber gerade vorwärts (ausgestreckt) gehalten werden, damit man, wegen der Kürze dieser letzteren, nicht die Hände und Arme bald vorwärts schieben, bald wieder, zurückziehen muss. Streckt man die drei längeren Finger aus, so werden zugleich die Nerven gespannt, folglich kann man nicht mit der nöthigen Leichtigkeit spielen. Der Daumen muss immer über der Tastatur befindlich sein, folglich darf er nie herabhängen oder an das Leistchen gestemmt <6> werden. Die Finger müssen nicht nahe beisammen, sondern immer lieber ein wenig von einander entfernt liegen".

A.E. Müller a.a.O. (1818): "Die Hand muss beständig so frei und natürlich liegen, dass sie ohne Erhebung der oberen Gelenke der Finger jede Bewegung derselben gestattet. Der Arm trage also die Hand, die Hand die Finger. Die längeren Finger biege man beim Spiel soweit ein, dass sie, besonders auf den Untertasten, mit dem Daumen eine horizontale Linie bilden - doch ohne dass man die Tasten mit dem Nagel berühre".

J.N. Hummel a.a.O. (1828), S. 13: "Die Muskeln der Arme und Hände müssen frei von Anstrengung nur soviel Spannkraft annehmen, dass sie die Hände und diese die Finger ohne Schlaffheit zu tragen vermögen. Die Hände halte man ein wenig gerundet und wie die Füsse etwas nach auswärts (!), jedoch frei und ungezungen; denn hiernach wird der Gebrauch des Daumens auf den Obertasten sehr erleichtert. Ihre Lage darf weder höher noch niedriger sein, als nöthig ist, die Vorderglieder zu beugen, um die Taste mittels des Ballens vom Finger anzuschlagen, sodass der Daumen mit dem fünften Finger eine horizontale Linie auf der Klaviatur bildet. Das platte Auflegen der Finger und das Einbohren in die Tasten bei herabhängender Hand ist ganz fehlerhaft und verursacht ein mattes lahmes Spiel. Die Finger müssen, bei Spannungen ausgenommen, weder zu weit auseinanderstehen, noch zu dicht an einander kleben; denn jeder Finger soll natürlich über die Taste zu liegen kommen. Der Daumen berührt die Taste nur mit der Schneide des vordersten Gliedes. Da er der kürzeste Finger ist, so gewöhne man ihn immer etwas eingebogen sich unter den zweiten Finger neigend zu halten, damit er stets zum Untersetzen bereit sei".

J.B. Logier (Anweisung zum Unterricht im Klavierspiel etc., 1829, S. 5 ff.) hält für die Erlangung der richtigen Handhaltung und Fingerstellung die Anwendung seines "Chiroplasten" ("Handführers") für unerlässlich. Obgleich dieser auch in vereinfachter Gestalt von Kalkbrenner (als "guidemains") und neuerdings in vervollkommneter Form von Bohrer (als "automatischer Handleiter") viel von sich reden machte, so hat doch im grossen und ganzen das Urtheil von mehr als einem halben Jahrhundert sich dahin festgestellt, dass die mechanischen Hülfsmittel eher hemmend als fördernd auf die sichere Angewöhnung einer korrekten Hand- und Fingerhaltung einwirken. (Kalkbrenner behauptet übrigens nicht, dass durch den guidemains die rechte Handhaltung erlernt wird, sondern, dass die Geläufigkeit der Finger dabei schneller entwickelt wird, als wenn der Schüler gleich die Hand mit zu tragen hat). Die von Logier verlangte Haltung entspricht der in unserem Texte vorgeschriebenen. Die Forderung perpendikulären Anschlags motivirt er treffend durch vermehrte Reibung (Einklemmung), <7> welche die schief angeschlagene Taste an den Leitstiften zu erleiden haben würde. Eine Eigenthümlichkeit Logiers ist ferner, dass er für die normale Anschlagsart verlangt, dass der Finger in steter Berührung mit der Taste bleibt und nicht höher gehoben wird als die Taste, welche nicht heruntergestossen, sondern heruntergedrückt werden soll.

Kalkbrenner a.a.O., S. 19: "Man muss die Taste mit dem fleischigen Theile des Fingers anschlagen; die Hand muss die natürlichste Lage haben, der Arm während der Bewegung der Finger völlig unbeweglich bleiben (!); die Bewegung der Hand darf nur aus der Handwurzel und die der Finger nur aus dem sie mit der Hand verbindenden Gelenke kommen.

Fétis' a.a.O. (1837), S. 24: "Die Stellung der Hand muss natürlich, gerundet und so beschaffen sein, dass die Tasten mit dem fleischigen Theile der Fingerspitze angeschlagen werden".

Villoing a.a.O., S. 46: "Die fünf Finger sollen halbkreisförmig (doch so, dass der Daumen weiter zurücksteht als der kleine Finger) derart gestellt werden, dass die die Hand emporhaltenden beiden ersten Fingergelenke ein wenig hineingezogen stehen bleiben, damit die äussersten Enden der Finger auf ihrem weichen Theile und nicht auf den Nägeln (klauenartig eingekrümmt) zu stehen kommen. - Das dritte Gelenk, welches die Finger an die Hand bindet, die Hand und die Arme müssen bis zum Ellbogen gleich einer Horizontallinie sich verhalten. - Die Hand darf nie beim kleinen Finger niederhängen. - Beim Heben sollen die Finger gerundet und nicht ausgestreckt oder hineingekrümmt werden. - Die Fülle und Kraft des Tones soll einzig und allein durch den freien, schwungvollen Anschlag und Druck der Finger geschehen, auf welchen sich Hand und Arm zugleich bis zum Ellbogen stützen".

Köhler a.a.O., S. 16. "Die Finger 2, 3, 4 und 5 müssen gekrümmt mit der Fleischkuppe ihrer Spitzen auf den Untertasten ruhen - die Handdecke muss möglichst eben, beinahe flach und in der Mitte viel lieber etwas vertieft oder gewölbt stehen: kein Knöchel darf also hervortreten und zwar dies aus dem Grunde nicht, weil damit das stumpfe Gegenstemmen gegen die Tasten vermieden wird (vgl. dagegen Villoings Vorschriften). - Das Handgelenk soll gerade, also weder höher noch niedriger als Handdecke und Vorderarm stehen. - Die Handknöchel der Finger 2 und 5 müssen gleichen Höhepunkt einnehmen; demzufolge sind die Handknöchel der Finger 3 und 4 in eine möglichst ebene Linie zu stellen. Von den Handknöcheln der Finger 2, 3, 4 bis zu deren nächsten Fingergelenken muss das Fingerglied in seiner Linie etwas aufsteigen, wodurch jene wünschenswerthe geringe Vertiefung auf der Handdecke gebildet wird. Das erste Glied des Fingers 5 ist jedoch, wegen seiner verhäItnissmässigen Kürze in mehr wagerechte Linie zu bringen. Das vorderste Glied jedes der Finger <8> 2, 3, 4, 5 soll streng systematisch genommen, schnurgerade (lothrecht) mit dem Fleischtheile der Spitze auf den Tasten stehen, sodass diese in keiner Weise von den (kurz zu schneidenden) Nagelspitzen berührt werden. - Je nach ihrer Längenverschiedenheit müssen die Fingerspitzen weiter vor und zurück stehen. Der Daumen muss eine vollkommene freie Stellung haben, genau auf seiner Schneide ruhend; von der Spitze bis zum Einschnitte in die Hand darf er an keinem Punkte von dem 2. Finger berührt werden. Die Lage des Daumens kann äusserlich keine gerade sein, sondern wird immer als eine etwas eingekrümmte gebogene erscheinen und zwar nur soweit, dass sein Gelenk in leichter Krümmung auswärts, seine Spitze mehr (dem zweiten Finger zu) einwärts gebogen erscheint. - Vollkommen gerade aus gerichtet wird nur der dritte Finger sein" etc.

Plaidy, Technische Studien, S. 4: "Das Handgelenk muss weder gewaltsam emporgehoben noch gesenkt werden, sondern Hand und Arm ganz ungezwungen vermitteln. Das erste Glied der Finger (vom Handrücken aus) soll mit dem Handrücken in gleicher Richtung fortlaufen. Die Gelenke zwischen Hand und Finger dürfen weder emporstehen, sodass die innere Hand eine Höhlung bildet, noch (wie es mehrere Lehrer zur Bedingung eines guten Anschlags machen) eingezogen werden. Die beiden vorderen Fingerglieder seien sanft gerundet, jedoch nicht so sehr, dass die Fingernägel die Tasten berühren. Diese Rundung muss indess nach aussen allmählich auslaufen, sodass der 4. und 5. Finger um ein geringes mehr gestreckt erscheinen. Der Daumen wird gestreckt und zwar so, dass das vordere Glied mit der Richtung der Taste parallel läuft und die Taste selbst mit der äusseren Seitenfläche dieses Gliedes berührt. - Der Schwerpunkt der Hand fällt (beim Spiel) nach innen, d.h. nach dem Daumen zu".

Lebert und Stark a.a.O., S. XXIX. "Die Hand schwebt stets Über der Klaviatur und in solcher Haltung, dass die rundgebogenen Finger mit ihrem Ballen, aber ja nicht mit dem Nagel und ohne dass sich die Finger umbiegen und ausstrecken, die Mitte der Tasten treffen. Die Hand sei leicht gegen den Daumen geneigt und zwar so, dass jeder Finger aus gleicher Höhe herabschlägt. - Der Daumen darf blos bis zur Nagelwurzel auf die Taste gebracht werden".

A. Kullak (Ästhetik des Klavierspiels, 2. Aufl., 1876) unterscheidet zwei Hauptarten der Handstellung, die hohe, bei der Handdecke, Handgelenk und Vorderarm eine horizontale Linie bilden und die tiefe, bei welcher das Handgelenk erheblich tiefer steht als die Knöchel und der Arm; bei ersterer nimmt er gekrümmte Finger, eingedrückte Knöchel und Auswärtsstellung der Hände als Norm an, bei letzterer gestreckte Finger und eine durchaus zwanglose natürliche Laue. (S. 128) "Eine vollkommen geschulte Hand muss ebensosehr das eine als das andere Prinzip verstehen; nur in diesem Falle <9> wird sie sich in den Zwischenmodifikationen, die alle Augenblicke durch figurative Verhältnisse der Tonfolge und die, Grade der dynamischen Nüancirung eintreten, mit vollendeter Gewandtheit benehmen". (S. 134): "Auch begünstigt die hohe Haltung (der Hand, die hier als normal vorgeschrieben) die Bildung des Daumens besser. Er spielt zierlicher mit der Spitze, er setzt besser unter, weil er freien Spielraum vorfindet. Bei der niedrigen Stellung schlägt er zwar in freierem Bogenschwunge an, aber da er mit der ganzen Schneide in die Tasten fällt und nicht mit der Schneide seines Vordergliedes allein, so theilt er das täppische Aussehen, das bei der benannten Stellung auch allen übrigen Fingern ein wenig anhaftet".

Th. Kullak, Schule des Oktavenspiels, 1. Abth., Einl.: "Der Daumen krümmt sein Nagelglied beim Anschlagen von Untertasten etwas nach innen, benutzt bei kräftigerem und schwererem Niederschlage die ganze untere Schneide dieses Gliedes, bei einem leichteren nur einen Theil derselben, nämlich den der Daumenspitze zunächst liegenden, Beim Anschlage, von Obertasten dreht er sein Nagelglied auswärts und schlägt mit der ganzen Schneide diese Tasten dergestalt an, dass er sie kreuzt" (Diese Bemerkung gilt ihrem ganzen Umfange nach aber nur für das Oktavenspiel).

Germer l.c. [loco citato], S. 3: "Der Daumen hat sein Vorderglied etwas einwärts (nach dem Zeigefinger zu) zu wenden, sodass die Spitze seiner äusseren Schneide die Taste berührt".
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Seite 11, Fußnote:
Irrig ist die Vorstellung Germers ("Wie übt man Klavier?" S. 3), dass sich beim Emporschnellen des Fingers die Muskeln und Sehnen "gleich einer in Spannung versetzten Sprungfeder" zusammenziehen und sich so in ihnen die ganze dem Finger inne wohnende Kraft concentrire. Da das Emporziehen des Fingers durch ganz andere Muskeln und Bänder bewirkt wird, als das Herabschnellen, so kann von einem Entwickeln von Federkraft keine Rede sein; wohl aber kann ein allzuheftiges Anziehen des Fingers den Beugemuskel in eine Art Krampf versetzen, welcher dem Herabschnellen hindernd entgegenwirkt. Ein "Moment passiver Ruhe" muss daher womöglich sowohl dem Emporschnellen als dem Herabschnellen vorausgehen; derselbe ist zur andauernden Erhaltung der Elastizität, zur schnellen Erholung der funktionirenden Nerven und Muskeln sogar unentbehrlich. Meiner Meinung nach trifft hier Villoing das rechte (Lehre des Klavierspiels, S. 47-48), indem er vor jedem Anschlage ein geringes Emporziehen des Fingers fordert, vor diesem Emporziehen aber Ruhelage; das Emporziehen hat dann nur den Zweck, die Entfernung des Fingers von der Taste zu vergrössern, nicht aber irgend eine Federkraft zu entwickeln. Übrigens ist die Abhandlung Germers im höchsten Grade lesenswerth.

Kalkbrenner, Pianoforteschule, S. 20: "Die Art, die Taste anzuschlagen, muss sich auf unzählige Weise verändern nach den verschiedenen Empfindungen, die man ausdrücken will; bald muss man die Taste liebkosen, <12> bald sich auf sie stürzen wie der Löwe, der sich seiner Beute bemächtigt. Jedoch muss man, indem man dem Instrumente so viel Ton als es geben kann, abgewinnt, sich wohl hüten, darauf zu schlagen; denn man muss das Pianoforte spielen aber nicht knuffen (boxer)."

A. Kullak, Ästhetik des Klavierspiels (2. Aufl., 1876, S. 124). "Entsprechend dem Hämmermechanismus muss der Fingerschlag eine vollkommene Lockerheit besitzen, die dem Auge die Vorstellung nahe legt, als sei der Finger im Knöchelgelenk durch den geschmeidigsten, weichsten und nachgiebigsten Verband nur an die Hand gesetzt. -- Die Bewegung des Fingers, gegen die Taste muss vollständig einem Fallen gleichen; solange dieselbe einem Herunterlangen oder Herunterlassen, d.h. einer durch grössere Langsamkeit sich vom Fallen unterscheidenden Bewegung ähnlich sieht, ist sie falsch und muss durch fleissiges Üben das genannte Ziel zu erreichen suchen. -- Nach dem Falle muss die Fingerspitze ihren Punkt auf der Taste so anschmiegend, fest und doch bei aller Festigkeit weich andrücken, dass sie wie angesaugt, ohne vor- oder rückwärts zu gleiten, auf der Taste zu haften scheint. -- Der Anschlag besteht also aus zwei diametral entgegengesetzten, Bethätigungen:

  1. aus blitzschnell erregter Lebhaftigkeit des Aufhebens und Herabfallens;
  2. aus der vollkommensten Ruhe und Abspannung im Momente des Niederdrückens" (? - soll wohl heissen: nach dem Niederdrücken!)

-- (S. 139): "Das Aufheben kann in erschwerender Anforderung so hoch als möglich gesteigert werden. Oft ist das blosse Hochhalten der Finger schon eine treffliche Übung und ist dieselbe vorzüglich auf den vierten und fünften Finger zu erstrecken. Das Niederfallen kann so lange immer kräftiger gefordert werden, als sich die Hand dabei nicht erschüttert, die unter allen Umständen die vollkommenste Ruhe behalten muss. Das Andrücken der Taste muss kontinuirlich ohne Schwanken und Loslassen ausgeübt werden".
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Seite 12, Fußnote:
Ganz unberücksichtigt blieb bei den hier folgenden Erörterungen das sogenannte Legatissimo, das Aushalten in den die Auffassung einer Figuration bestimmenden Akkord gehöriger Töne bis zum Eintritt einer andern Harmonie, z.B.:

Notenbeispiel S. 12

Das Legatissimo bestimmt nicht eine besondere Anschlagsmodifikation sondern verleiht der Notirung einen etwas anderen Sinn; dieselbe erscheint als vereinfacht, abbreviirt. Übrigens muss sehr davor gewarnt werden, vom Legatissimo, wo es nicht vorgeschrieben ist, einen allzuhäufigen Gebrauch zu machen. Man erzielt aber besonders da guten Effekt damit, wo eine bewegtere Melodie den Gebrauch des Pedals prekär macht: die Haltetöne repräsentiren dann eine theilweise Hebung der Dämpfung.
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Seite 13, Fußnote:
Ph.E. Bach, der das Pianoforte bereits kannte, wie es A. Silbermann baute, zog ihm das Klavichord vor, weil es "ausgenommen, dass es einen schwächeren Ton hat, alle Schönheiten mit jenem gemein und überdem noch die Bebung und das Tragen der Töne voraus hat, weil ich nach dem Anschlage noch jeder Note einen Druck geben kann" (a.a.O. S. 7).
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Seite 14, Fußnote:
Hummel ist nicht für ausgedehnten Pedalgebrauch; seine Zeichen sind in den Musikbeispielen so gestellt, dass am Ende der einen Harmonie das Pedal losgelassen und am Anfang der neuen wieder getreten wird. Die Schule von Lebert und Stark hat nicht viel über das Pedal zu sagen, ist aber für reichlichen Gebrauch; die Zeichen (Ped. - *) sind gestellt wie bei Hummel.

Kalkbrenner (S. 14): "Um dahin zu gelangen (nämlich zu einem schönen Vortrage der singbaren Stellen) ist es unerlässlich, sich des grossen Pedals zu bedienen, um die dem Pianoforte anhängende Trockenheit zu verbergen. Dussek, John Field und J.B. Cramer, die Koryphäen dieser Schule, deren Gründer Clementi ist (der englischen), bedienen sich des grossen Pedals, wenn die Harmonie sich nicht ändert. Dussek war darin vorzüglich ausgezeichnet, denn er hielt, wenn er öffentlich spielte, die Dämpfer fast immer aufgehoben. Ich empfehle den Anfängern, die Übungsstücke ohne Pedal einzustudiren, damit ihre Fehler nicht durch die Verwirrung, die aus ihrer Unerfahrenheit hervorgehen würde, versteckt werden, aber zeitig anzufangen, sich bei singbaren Stellen und ausgehaltenen Noten des grossen Pedals zu bedienen. Der grösste Fehler des Pianoforte ist, dass es die Töne nicht anschwellen kann - um dem abzuhelfen, muss man sich des grossen Pedals bedienen. Das Forte-Pedal kann mit Erfolg für einen oder mehrere Akkorde angewandt werden, nur muss man es fallen lassen, so oft die Harmonie sich ändert; wenn man es bisweilen nach dem Anschlage des Tones gebraucht, so lässt es ihn gleichsam wieder aufleben. - Die Schwingungen der hohen Töne vervielfältigen sich so sehr, dass die hohen Töne ohne Pedal gespielt immer etwas trocken erscheinen".

Fétis (Méthode, S. 118): "Die von den geschicktesten Pianofortespielern angenommene Regel besteht darin, dass man den Fuss wegzieht, so oft die Harmonie wechselt, oder wenn die Stellen aus Noten bestehen, die sich in diatonischen oder chromatischen Reihen folgen. Daraus folgt, dass die heutige Schule, welche unaufhörlich modulirt, den <15> Fuss beinahe in eine ununterbrochene Bewegung setzt, was in der ersten Zeit dieser Übungen den Schüler in Verlegenheit bringt, aber bald zur leichten Gewohnheit wird".

A. Kullak (Ästhetik des Klavierspiels, S. 356): [das Hauptpedal] "wird in vier Fällen angewendet:

  1. um Töne zu verbinden,
  2. um die Zahl klingender Noten zu vermehren,
  3. um die Kraft des Klanges zu steigern,
  4. um die Poesie der ganzen Schattirung zu fördern.

-- Eine treffliche Studie gewährt das Binden von Akkordfolgen durch Pedal, welches der reinen Fingertechnik oft unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten würde. Man nehme kurz nach dem Anschlage der Harmonie den Dämpfer und halte ihn genau bis zur folgenden:

Notenbeispiel S. 15

Wenn durchgehende Noten, skalenartige Stellen u. dgl. sich zwischen die harmonischen Figuren legen, wird das Pedal unterbrochen. Ist die Zahl solcher Noten nicht bedeutend genug, um die Harmonie zu stören, so kann das Pedal auch beibebalten werden. Das Ohr muss hier entscheiden. Je höher die Begleitung liegt, um so eher verträgt sie akkordfremde Töne. - Die Klangverstärkung ist ein wesentlicher Bestimmungsgrund für die Anwendung des Pedales. Die Brillanz wird so recht eigentlich durch dasselbe gefördert. - Selbst der einzelne Ton, mit Pedal gespielt, klingt anders als ohne Pedal. Dieser Eindruck steigert sich um ein bedeutendes, wenn dasselbe durch eine fortlaufende Tonfolge niedergedrückt bleibt. Das Unbestimmte, Verschwimmende, welches damit dem Klange verliehen wird, hat seinen unleugbaren poetischen Reiz; nur muss man vorsichtig mit solchen Effekten umgeben, da ein Missbrauch sie leicht trivial macht und andererseits die Sauberkeit stört. Hochliegende Partien, namentlich im Piano, vertragen das Pedal noch am häufigsten".

L. Köhler, der zuerst endgültig die Pedaltheorie klargestellt hat, gab eine Monographie heraus: "Der Klavierpedalzug, seine Natur und <16> und künstlerische Anwendung" (1882), welche angelegentlichst empfohlen werden muss. Köhler legt mit Recht den Hauptnachdruck auf das "Zwischentreten" und bedient sich zur Veranschaulichung des Pedalgebrauchs der Notenschrift auf einer Linie nach Art der Notirung für Trommel, Triaugel etc., z.B.:

Notenbeispiel S. 16

Gern lasse ich Köhlers Schriftchen als "nothwendiges Supplement zu jeder Klavierschule" also auch zur meinigen gelten, möchte indess doch noch eine ergänzende Bemerkung machen. Köhler übersieht einen der wichtigsten Gründe für die Dämpfung im Momente des Anschlags, besonders des stärkeren, nämlich die Verhütung der Erregung ganz fremder Töne durch die Schlaggeräusche der gesammten Mechanik. Ich halte also Dämpfung im Moment des Anschlags, besonders des accentuirten und Sforzato-Einsatzes für das normale. Unter Berücksichtigung dieses Zusatzes möge man Köhlers Vorschriften genau durchdenken; es schadet nichts, dass dieselben etwas sehr detaillirt sind - es wird das allgemeine davon desto sicherer haften bleiben. So wenig ich glaube, dass Jemand es fertig bringen wird, die Köhler'sche Pedalnotirung in grossen und schwierigen Werken korrekt zu exekutiren, so sicher glaube ich doch, dass ihre Anbringung in einfachen Übungsstücken die Aneignung eines instinktiv richtigen Pedalgebrauchs wesentlich erleichtern kann.

Die Schrift "Das Pedal des Klaviers" von Hans Schmitt (1875), der ich in der ersten Ausgabe dieses Buches irrthümlich die Priorität gegenüber Köhler's Pedaltheorie vindicirte, ist doch schliesslich nur eine breitere Ausführung der in Köhlers "Systematischer Lehrmethode für Klavierspiel und Musik" (l. Aufl. 1856, 2. Aufl. 1872) Bd. 1, S. 148-152 (der 2. Aufl.) mit aller Klarheit auseinandergesetzten Gedanken; es wird dort sogar bereits das Zwischentreten durch ein Notenbeispiel erläutert. Köhler bleibt also das Verdienst, zuerst die Pedaltheorie völlig geklärt zu haben (vgl. aber auch die obigen Citate aus Kalkbrenner und Fétis).
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Seite 18, Fußnote:
Diese sehr verbreitete Anschlagsmodification hatte bisher keinen Namen; der von mir gewählte ist technisch gerechtfertigt. Das Mezzolegato ist so ziemlich Überall anzuwenden, wo der Componist ein brillante oder con bravura vorgeschrieben hat, überhaupt wo das Passagenwerk auf Melodiosität Verzicht leistet und Arabeske wird.
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Seite 22, Fußnote 1:
Ph.E. Bach fordert merkwürdigerweise Spannung für Sprünge (a.a.O. S. 17): "Man gewöhne besonders die noch nicht ausgewachsenen Hände der Kinder, dass sie, anstatt des Hin- und Herspringens der ganzen Hand, wobei wohl noch oft dazu die Finger auf einen Klumpen zusammengezogen sind, die Hände im nöthigen Falle so viel wie möglich ausdehnen. Hierdurch werden sie die Tasten leichter und gewisser treffen lernen und die Hände nicht leicht aus ihrer ordentlichen und über der Tastatur horizontal schwebenden Lage bringen, welche bei Sprüngen gern bald auf diese bald auf jene Seite sich zu verdrehen pflegen."
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Seite 22, Fußnote 2:
Vor dem wiederholten Anschlag derselben Taste durch denselben Finger warnt Ph.E. Bach, a.a.O. S. 4: "indem kaum zu glauben steht, was das geschwinde Anschlagen desselben Tones ohne Abwechselung der Finger den Händen für Schaden thut."
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Seite 23, Fußnote 2:
A. Kullak (Aesthetik des Klavierspiels S. 362): Für den Vortrag bleibt indess für viele Fälle der Vortheil der Verschiebung unbezweifelt; es würde sich beim leisesten Spiele guter Mechanik doch nie der Schmelz erreichen lassen, den eben dasselbe Spiel mit Hülfe der Verschiebung gewänne. Für sich allein macht die Verschiebung den Ton ungemein pikant, zart - ein wenig trocken - bei beiden Eigenschaften aber auch in der Qualität weicher als der gewöhnliche Klavierton. ... nimmt die Verschiebung das andere Pedal mit hinzu, so wird das an sich feine Pikante mit jenem Hauche noch verschleiert, der die scharfen Grenzen des Tonumrisses ein wenig verwischt. Es kommt wieder eine andere Klangfarbe zur Erscheinung, die ein wenig romantisch-sentimentaler ist als die vorige. Die feinen Linien verzittern und verschwimmen."
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Seite 23, Fußnote 3:
Zuerst (seit 1882) in Aufsätzen in den "Grenzboten", dem "Musikalischen Wochenblatt" und "Klavierlehrer", in dem Vortrag "Der Ausdruck in der Musik", ausführlicher aber in meiner "Musikalischen Dynamik und Agogik" (Hamburg, bei D. Rahter).
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Seite 24, Fußnote:
D.G. Türk, Klavierschule S. 349: "Oft bestimmt der Componist den Hauptgrad der Stärke oder Schwäche durch die zu Anfang beigefügten Worte sempre forte oder sempre piano. Dieses sempre darf aber nicht in einer zu strengen Bedeutung genommen werden. ... Einzelne Gedanken müssen dem ungeachtet den Affekten gemäss modificirt werden." (S. 348) "Das beigefügte forte und piano bestimmt den Ausdruck nur so ungefähr und im Ganzen; wie überhäuft würden aber diese Worte beigefügt werden müssen, wenn jede einzelne Note, welche eine besondere Schattirung verlangt, damit bezeichnet werden sollte."
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Seite 27, Fußnote 2:
Ph.E. Bach, a.a.O. S. 18: "Die Gestalt unserer Hände und des Griffbrettes bildet uns gleichsam den Gebrauch der Finger ab."
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Seite 28, Fußnote:
D.G. Türk (1789, Einl. § 31) "Dass sich der Daumen nach einer Obertaste weit bequemer untersetzen lässt als nach einer untenliegenden, wird wohl jeder zugestehen."
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Seite 29, Fußnote:
Ph.E. Bach, a.a.O. S. 29: "Endlich sehen wir bei dieser Abbildung der Tonleitern, dass die ohne oder mit den wenigsten Versetzungszeichen die meisten Veränderungen der Applikatur erlauben ... und dass die übrigen nur einerlei Abwechselung der Finger gestatten. Folglich sind die sogenannten leichten Tonarten ... viel verführerischer und schwerer als die sogenannten schweren Tonarten" etc.
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Seite 30, Fußnote:
Ph.E. Bach, a.a.O. S. 11: "Damit man die Tasten auswendig finden lerne und das nöthige Notenlesen nicht beschwerlich falle, wird man wohl thun, wenn man das Gelernte fleissig auswendig im Finstern spielet."
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Seite 31, Fußnote:
H. Germer (Wie übt man Klavier? S. 12) macht darauf aufmerksam, dass beim einstimmigen wirklichen Staccato die Stellung der Hand nicht für alle fünf Finger dieselbe sein darf, sondern dafür gesorgt werden muss, dass der Schwerpunkt der Hand möglichst senkrecht über die anzuschlagende Taste gebracht wird. Das heisst also, wenn der vierte oder fünfte Finger mit wirklichen Staccato anschlagen soll, so muss die Hand <32> mehr nach auswärts geneigt werden, für den Daumen umgekehrt mehr nach innen. Aus diesem unzweifelhaft richtigen Princip resultirt für die Kombination von Legato und Staccato, dass eine Seitwärtsbewegung der Handdecke nach den staccato anzuschlagenden Tönen die kräftige Ausführung der letzteren unterstützen muss, sozusagen ein leichtes Hinschleudern des Schwerpunktes der Hand nach den betreffenden Tasten. Auch für die Ausführung des doppelstimmigen Spiele mit zweierlei Tonstärken ist dadurch die Erklärung gegeben: man neigt die Hand nach der Seite der Finger, welche die hervortretenden Stimmen auszuführen haben.
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Seite 32, Fußnote:
Köhler, a.a.O. S. 54: "In der Kombination der starken und schwachen Tongebung ist also verschiedene Kraftgebung mit einer Hand gleichzeitig nothwendig; eine solche ist auf drei Wegen zu gewinnen: durch verschiedene Art der Fingerthätigkeit allein; durch verschiedene Art der Handthätigkeit allein; durch Zusammenwirken beider Arten in Einem mehrfachen Anschlage. Im ersten Falle wird der starke Anschlag mit Hülfe steifer Fingerhaltung, der schwache Anschlag durch schlaffe ausgeführt; im zweiten Falle wird die Handdecke an der Partie des Fingers, welcher stark anschlagen soll, mit mehr, dagegen an der Partie des Fingers, welcher schwach anschlagen soll, mit weniger Druckkraft erfüllt; im dritten Falle wird der Finger, welcher stark anschlagen soll, bei steifer Haltung auch noch durch die betreffende Handdeckenpartie gewichtvoller gemacht, der Finger, welcher schwach anschlagen soll, dagegen bei schlaffer Haltung nicht von der Handdecke bedrückt. ... Das Gefühl in Muskeln und Nerven ist für solche Kombinationen eigens zu üben, damit die Finger gleichzeitig verschiedenartige Zustände eingeben können und die Handdecke den Schwer- und Stützpunkt ihres Gewichtsgefühles nach jeder Seite hinleiten kann."
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Seite 40, Fußnote 1:
In Sulzers "Allgemeiner Theorie der schönen Künste" (1772), Art. "Vortrag": "Derjenige, der blos die vorgeschriebenen Noten liest und alles gethan zu haben glaubt, wenn er sie nur rein und im Takt singt oder spielt, hat so wenig einen guten Vortrag als der Redner, der blos deutliche Worte ausspricht, ohne den Ton seiner Aussprache zu verändern ... Jedes gute Tonstück hat wie die Rede seine Phrasen, Perioden und Accente; ausserdem hat es ein bestimmtes Zeitmass, nämlich den Takt; diese Stücke müssen im Vortrag fühlbar gemacht werden, ohnedem bleibt es dem Zuhörer unverständlich." ... "Die Einschnitte sind die Kommata des Gesangs, die wie in der Rede durch einen kleinen Ruhepunkt fühlbar gemacht werden müssen. Dies geschieht, wenn man entweder die letzte Note einer Phrase etwas absetzt und die erste Note der folgenden Phrase fest einsetzt, oder wenn man den Ton etwas sinken <41> lässt und ihn mit Anfang der neuen Phrase wieder erhebt (das Wort Phrase wird hier in der umfänglichsten Bedeutung genommen, indem sowohl die Einschnitte als auch Abschnitte und Perioden des Gesanges darunter verstanden werden ...) ... Hört die Phrase mit einer Pause auf, so hat dieses keine Schwierigkeit; der Einschnitt markiert sich von sich selbst. Endigt die Phrase aber mit keiner Pause, so erfordert es mehr Kunst. ... Die Hauptregel, die hierbei in Acht zu nehmen ist, ist diese, dass man sich nach dem Anfang des Stückes richte. Ein vollkommen regelmässiges Tonstück beobachtet durchgängig gleiche Einschnitte: nämlich mit welcher Note des Taktes es anfängt, mit eben der Note fangen auch alle seine Phrasen an, z.B. (0 = Schlussnote, + = Anfangsnote der Phrase):

Notenbeispiel S. 41, Nr. 1

(Man beachte wohl, wie Schulz nach dem 3. Takt keinen Einschnitt andeutet!)

Wenn der Einschnitt zwischen Achtel oder Sechzehntel fällt, die in der Schreibart gewöhnlich zusammengezogen werden, so pflegen die Tonsetzer die Noten, die zu der vorhergehenden Phrase gehören, von denen, womit eine neue anfängt in der Schreibart von einander zu trennen, um den Einschnitt desto merklicher zu bezeichnen:

Notenbeispiel S. 41, Nr. 2

Diese Schreibart macht die Einschnitte sehr deutlich und verdiente wenigstens in zweifelhaften Fällen durchgehends vorgezogen zu werden. Aber bei Vierteln und halben Taktnoten könnte sie nicht angebracht werden, man müsste sich dann des Strichleins | über der letzten Note der Phrase bedienen, wie auch hin und wieder von einigen geschieht. In vielen, zumal grossen Stücken von phantasiereichem Charakter kommen verschiedene Einschnitte und mancherlei Gattungen der Phrasen vor, die man nothwendig aus der Beschaffenheit des Gesanges erkennen muss. Man sehe folgenden Anfang einer Bach'schen Klaviersonate:

Notenbeispiel S. 41, Nr. 3

<42> ... Es ist unglaublich, wie sehr der Gesang verunstaltet und undeutlich wird, wenn die Einschnitte nicht richtig oder gar nicht marquiert werden. Man darf, um sich hiervon zu überzeugen, nur eine Gavotte so vortragen, dass die Einschnitte in der Hälfte des Taktes nicht beachtet werden. So leicht dieser Tanz zu verstehen ist, so unfasslich wird er dadurch für alle Menschen. Hierwider wird am häufigsten in solchen Stücken gefehlt, wo die Phrasen in der Mitte des Taktes und zwar auf einer schlechten Zeit desselben anfangen; weil jeder gleich anfangs gewohnt wird, nur die guten Zeilen des Taktes, auf welche die verschiedenen Accente des Gesanges fallen, vorzüglich zu marquieren und die schlechten überhaupt gleichsam wie nur durchgehen zu lassen. Dadurch wird dann in solchen Fällen die Phrase zerrissen und ein Theil derselben an die vorhergehende oder die darauf folgende angehängt. ... Würden die Anfänger fleissig in dem Vortrag der verschiedenen Tanzstücke geübt, die so leicht zu fühlende und so mannigfaltige, ja alle Arten von Einschnitten haben, so würden sie bald bemerken, wie sie die Accente und die Einschnitte zu marquieren haben, um beide fühlbar zu machen; sie würden alsdann auch leichter, als in den Sonaten und Solos geschehen kann, die Phrasen von zwei, drei und mehreren Takten aus dem Zusammenhang der Melodie erkennen lernen."

D.G. Türk, Klavierschule (1789, S. 340 ff.) macht auf die gebieterische Nothwendigkeit aufmerksam, die richtige Interpunktiön der musikalischen Gedanken zu lehren und bemerkt: "Da ich mich nicht erinnere, in einer Anweisung zum Clavierspielen etwas über die musikalische Interpunktion und den daraus hergeleiteten Vortrag gelesen zu haben: so will ich diesen für den praktischen Künstler so wichtigen Gegenstand hier etwas ausführlicher abhandeln, überzeugt, dass die folgenden Bemerkungen einigen Einfluss auf den logisch richtigen Vortrag haben können." Weiterhin heisst es (S. 341): "Die erforderlichen Mittel, einen Gedanken zusammenhängend vorzutragen und die Perioden (Phrasen) durch den Vortrag von einander zu sondern, sind folgende:

  1. Einen noch nicht geendigten Gedanken darf man nie durch unzeitiges Abheben der Finger von den Tasten (oder durch Pausen) trennen. ...
  2. Fühlbar wird das Ende einer Periode (Phrase), wenn man bei dem letzten Tone derselben den Finger sanft von der Taste abhebt und den ersten Ton der folgenden Periode (Phrase) wieder etwas stärker angiebt. Folglich entsteht durch das erwähnte Absetzen eine kleine Pause, welche in die Zeit der jedesmaligen letzten Note fällt. ...

hat der Componist nach der letzten Note einer Periode (Phrase) selbst eine Pause angebracht, so ist die obige Anmerkung unnöthig, wiewohl man auch in diesem Falle der letzten Note eine etwas längere Dauer giebt, als es die eigentliche Geltung erfordert. ... Bei einem sehr feinen Vortrage muss man in Ansehung des Abhebens der Finger sogar auf die grösseren oder kleineren mehr oder weniger mit einander in Verbindung stehenden Perioden (Phrasen resp. Taktmotive) Rücksicht nehmen."

Türk erzählt sodann, dass er zur Markierung der Einschnitte (Phrasenenden) sich in seinen Compositionen eines besonderen Zeichens bediene ", z.B.

Notenbeispiel S. 42

<43> und bemerkt dazu: "hoffentlich werden bald mehrere Komponisten besonders in den Tonstücken für Anfänger die Einschnitte bezeichnen, wenn ihnen an der deutlichen Ausführung ihrer Arbeiten und an der Verbreitung musikalischer Kenntnisse überhaupt gelegen ist. Denn man sage noch so viel vom eigenen Gefühle: der angehende Musiker (vielleicht selbst mancher Lehrer) hat es nicht, wenn er auch gern alles anwenden wolle, was zum deutlichen und guten Vortrage gehört. ... Wer die Bezeichnung der Einschnitte unnöthig finden sollte, den dürfte man nur fragen, warum die Interpunktion in der Sprache eingeführt worden sei und sogar in Büchern, bloss für Gelehrte bestimmt, beibehalten werde? ... (S. 344) Unter den angezeigten Ruhestellen sind natürlicher Weise die kleineren am wenigsten zu fühlen ... denn gewiss wird derjenige, welcher einen blossen Einschnitt fühlt, die grösseren Ruhestellen um soviel mehr bemerken. Endigt sich ein solcher musikalischer Einschnitt mit einer Pause, wie:

Notenbeispiel S. 43, Nr. 1

so muss er auch dem stumpfestem Gefühle merklich werden. ... Aber ungleich grössere Aufmerksamkeit und ein weit feineres Gefühl wird erfordert, die Einschnitte sogleich zu finden, wenn sie nicht durch Pausen von einander getrennt sind, wie:

Notenbeispiel S. 43, Nr. 2

(vgl. auch das erste Beispiel dieser Anmerkung)

"Sorgfältigere Tonsetzer machen die Einschnitte auch bei kleineren Notengattungen dadurch kenntlich, dass sie die Note, auf welche der Einschnitt fällt, von den folgenden Noten absondern, z.B.

Notenbeispiel S. 43, Nr. 3

... Da aber diese Schreibart bei grösseren Notengattungen nicht statt hat, so müsste man dafür etwa die Schreibart

Notenbeispiel S. 43, Nr. 4

wählen. ... Ein Hauptmittel, die Einschnitte finden zu lernen, ist, dass man bemerke, ob ein Tonstück mit dem vollen Takt anfängt oder ob <44> vorher noch zwei, drei oder mehrere Achtel oder andere Notengattungen (im Auftakte) enthalten sind. Wenn nämlich das Tonstück mit einem Achtel im Auftakte anfängt, so fangen auch die folgenden Einschnitte gemeiniglich mit dem letzten Achtel eines Taktes an usw. ... Indess ist auch dieses Merkmal nicht immer zuverlässig; denn um mehr Mannigfaltigkeit in das Ganze zu bringen, pflegen die Componisten in längeren Tonstücken die Einschnitte oft auf andere Taktglieder zu legen. ... Liessen die Lehrer ihre geübten Schüler, wenn diese falsch gespielt haben und gewisse einzelne Stellen wiederholen sollen, nicht eben bei der falsch gespielten Note sondern beim Einschnitte wieder anfangen, so würden die Schüler bald fühlen lernen, was zusammenhängt und also nicht getrennt werden darf, oder was von einander abgesondert werden kann."

Kalkbrenner, "Pianoforteschule" S. 19: "Wie in der Rede, so haben auch in der Musik die Sätze oder Phrasen ihre Interpunktion, deren Zeichen die Pausen sind; nur durch die sorgfältigste Beobachtung dieser Interpunktion kann man die Phrasen gehörig markieren." Das[elbst]. S. 17: "Da der ganze musikalische Ausdruck in den Nüancen besteht, so muss man vor allen Dingen die Eintönigkeit vermeiden. Die allgemeinsten, wenige Ausnahmen leidenden Regeln, die ich empfehle, sind ungefähr folgende: Die aufsteigenden Passagen müssen crescendo, die absteigenden diminuendo gespielt werden. Diese Regel allein giebt der Musik eine gewisse Wellenbewegung, die ihren Ausdruck sehr vermannigfacht. Die längste Note muss die stärkste sein; die letzten Noten singbarer Sätze müssen etwas langsamer werden, die ersten und letzten Noten einer Phrase (trait) müssen mehr hervorgehoben werden als die anderen. Die Melodie muss stärker als die Begleitung sein; diese darf nicht immer an den Ausdrucksnüancen jener Theil nehmen; bei häufigem Harmoniewechsel oder wenn die Modulationen schnell auf einander folgen, muss man die Bewegung anhalten. ... Alle der Tonart fremden und eine zufällige Verzeichnung habenden Noten müssen mehr markiert worden. Bei Stellen mit doppelgriffigen Oktaven oder Akkorden müssen die langen Noten arpeggiert werden, die vorhergehenden aber nicht . ... (S. 18) Wird eine Note mehrere Male wiederholt, so muss man sie durch Anschwellen oder Abnahme des Tones verschieden nüancieren. Spielt man Sachen, die für das Orchester gesetzt sind, so muss man die Arpeggios weglassen, da das grösste Verdienst eines Orchesters im Zusammenspiele besteht. Die gebundenen und synkopierten Noten müssen auch stärker sein. Wird eine Stelle repetirt, so muss man sie immer verschieden nüanciren . ... Vor allem halte man nicht für ausdrucksvoll, was nur affektirt ist, hebe den Ellenbogen nicht, wenn man eine Note betont, neige sich nicht auf dem Stuhle und schneide keine Gesichter." S. 19 erklärt Kalkbrenner, dass J.B. Cramer und Crescentini sich besonders durch gute Phrasirung ausgezeichnet hätten.

Ph.E. Bach, a.a.O. S. 115: "Indessen kann man merken, dass die Dissonanzen insgemein stärker und die Consonanzen schwächer gespielt werden, weil jene die Leidenschaften mit Nachdruck erheben und diese sie beruhigen. Ein besonderer Schwung der Gedanken, welcher einen heftigen Affekt erregen soll, muss stark ausgedrückt werden. Die sogenannten Betrügereien (Trugschlüsse) spielt man daher, weil sie oft deswegen angebracht <45> werden, gemeiniglich forte. Man kann allenfalls auch diese Regel merken, welche nicht ohne Grund ist, dass die Töne eines Gesanges, welche ausser der Leiter der Tonart sind, gern das forte vertragen, ohne Absicht, ob es Con- oder Dissonanzen sind" etc.

Jul. Knorr: Das Clavierspiel in 280 technischen Studien (Einleitung): "Noch wichtiger wird eine solche Bogenabtheilung bei grösseren Rhythmen (Tongruppen), da sie hier eine Art musikalischer Interpunktion abgiebt, wodurch nach einem rhythmischen Abschnitt sogar den Fingern ein freies Einsetzen gestattet ist. Darum wäre wohl zu wünschen, dass in unseren gestochenen Musikalien dagegen nicht so oft und unverantwortlich gefehlt würde." (!)
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Seite 46, Fußnote 2:
Ph.E. Bach, a.a.O., II, S. 254: "In langsamem und gemässigtem Zeitmasse wird überhaupt bei den Einschnitten (Phrasenenden) länger angehalten als es sein soll. ... Man pfleget alsdann mit Fleiss in dem Tempo etwas zu schleppen und man muss also von der Strenge des Taktes etwas fahren lassen, weil sowohl bei der letzten Note vor der Pause als auch bei der Pause selbst, gemeiniglich länger angehalten wird, als es sein sollte. ... [Dadurch] bekommt der Gedanke einen Nachdruck, welcher ihn erhebet." Das Tempo rubato, das ja nach unserer nunmehr geklärten Einsicht nichts anderes ist als ein stärkeres Hervortreten der natürlichen agogischen Schattirung, war schon Ph.E. Bach wohlbekannt (a.a.O., I., S. 106). "Wiewohl man, um nicht undeutlich zu werden, alle Pausen sowohl als Noten nach der Strenge der erwählten Bewegung halten muss, ausgenommen in Fermaten und Cadenzen: so kann man doch öfters die schönsten Fehler wider den Takt mit Fleiss begehen, doch mit diesem Unterschied, dass, wenn man alleine oder mit nur wenigen und zwar verständigen Personen spielt solches dergestalt geschehen kann, dass man der ganzen Bewegung zuweilen einige Gewalt anthut (die begleitenden werden darüber, anstatt sich irren zu lassen, vielmehr aufmerksam werden und in unsere Absichten einschlagen), dass aber, wenn man mit starker Begleitung und zwar wenn selbige aus <47> vermischten Personen von ungleicher Stärke besteht, man blos in seiner Stimme allein wider die Eintheilung des Taktes eine Aenderung vornehmen kann, indem die Hauptbewegung genau gehalten werden muss."
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Seite 47, Fußnote 1:
Wem die Theorie der Verzögerungen zum Zweck klarer Phrasirung bedenklich erscheinen sollte, dem rathe ich zu einem sehr einfachen Experiment, das alle seine Einwände stumm machen wird: er versuche es, zu ergründen, wie man auf der Orgel, die bekanntlich des crescendo und der Möglichkeit minutiöser Accentuierung entbehrt, den 6/8 Takt von dem in Achtel untergetheilten Dreivierteltakt unterscheidet. Er wird erkennen, dass hier als einziges Mittel die kleinen Verzögerungen übrig bleiben!
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Seite 47, Fußnote 2:
Guido von Arezzo braucht im Micrologus den Ausdruck syllaba (von griechisch [...] = zusammenfassen) für die kleinste Tongruppe.
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Seite 48, Fußnote:
Ich will nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass der sinnlose Gebrauch, der von den Bögen in der Claviermusik gemacht wird (sodass die Bögen oft enden, wo legato fortgespielt werden soll und weder ein Motiv noch eine Phrase endet), mit der Bogenbezeichnung der Musik für Streichinstrumente zusammenhängt. Aber schon L. Mozart fordert in seiner Violinschule, dass der Strichwechsel stets sehr geschwind und unmerklich vor sich gehen muss (2. Aufl., S. 109): "Man bemühe sich also, wo das Singende des Stückes keinen Absatz fordert, nicht nur bei der Abänderung des Striches den Bogen auf der Violine zu lassen und einen Strich mit dem andern wohl zu verbinden; sondern auch viele Noten in einem Bogenstriche und zwar so vorzutragen, dass die zusammengehörigen Noten wohl aneinander gehängt und nur durch das Forte und Piano von einander in etwas unterschieden werden."
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Seite 59, Fußnote:
Th. Kullak ("Aesthetik des Klavierspiels", S. 285 ff.) verkennt die wahre Ursache solcher Hervorhebungen leichter Takttheile, bezeichnet sie als negativen Accent und sieht in ihnen etwas abnormes, sagt aber dazu: "Das Abnorme ist das wahre Leben." Lussy (Traité de l'expression musicale" S. 83-84 ff.) ist der Ansicht, dass die Anfangsnote nur dann hervorzuheben ist, wenn die Melodie von ihr aus fällt, oder aber, wenn sie den Uebergang in eine andere Form der Motivbildung (Auftaktigkeit) bildet.
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Seite 62, Fußnote:

Freilich sind wir auch nicht berechtigt, beim Spielen älterer Clavierwerke davon abzusehen, dass dieselben darauf berechnet waren, noch weiter verziert zu werden. Besonders sollte die Verzierung der Fermaten (die z.B. bei Haydn recht häufig sind) nicht unterlassen werden.
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Seite 63, Fußnote:
K.Ph.E. Bach, "Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (1753, S. 52): "Alle durch kleine Nötchen angedeutete Manieren gehören zur folgenden. Note." D.G. Türk, Clavierschule (1789, S. 207) "da aber die Vorschläge ihre Geltung allemal von der folgenden Note erhalten, so dürfen sie auch nicht eher eintreten, als bis an ihrer Stelle die Hauptnote selbst eintreten würde. In der Kunstsprache sagt man: Die Vorschläge fallen in die Zeit der folgenden Hauptnote. Diejenigen kleinen Nötchen, welche ihre Dauer von der vorhergehenden Note bekommen oder in die Zeit der vorigen Note fallen heissen Nachschläge. (Das[elbst]. S. 330) Nachschläge nennt man gewisse durchgehende Töne, welche ... allemal in die Zeit der vorhergehenden Note fallen oder von dieser ihre Dauer erhalten. Insofern sind sie gewissermassen als das Gegentheil von den Vorschlägen anzusehen. Beide Arten werden aber häufig mit einander verwechselt, weil man auch die Nachschläge oft durch kleine Nötchen andeutet und keine Unterscheidungszeichen beifügt, wie hier:

Notenbeispiel S. 63, Nr. 1

(S. 231). Wollte man ja die Nachschläge durch kleine Nötchen andeuten, so müssten sie etwa vermittelst eines Bogens mit der vorhergehenden Hauptnote verbunden werden:

Notenbeispiel S. 63, Nr. 2

<64> Sicherer aber ist es auf jeden Fall, wenn die Nachschläge durch gewöhnliche Noten bestimmt und gehörig in den Takt eingetheilt werden, wie es denn jetzt oft geschieht. ... Einige glauben, die erwähnte Zweideutigkeit könne dadurch vermieden werden, wenn man die Figur der kleinen Nötchen, im Fall sie einen Nachschlag bezeichnen sollen, rückwärts kehrte:

Notenbeispiel S. 64

Allein dieses Merkmal fände nur bei den selteneren Nachschlägen von einem einzelnen Nötchen statt und wäre daher nicht allgemein anwendbar."
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Seite 64, Fußnote:
Clavierschule (1789, S. 232): "nur wenige taugen etwas. Entweder entstehen durch diese Nachschläge Fehler in der Harmonie oder sie sind dem guten Geschmack entgegen. Aus diesen und anderen Gründen pflegen die Componisten ihren Arbeiten nur selten einfache Nachschläge beizufügen. Noch weniger sollten diejenigen Clavierspieler, welche weder hinlängliche Kenntnisse von der Harmonie noch einen sehr gebildeten Geschmack besitzen, ohne ausdrückliche Vorschrift Nachschläge hinzusetzen." Noch weniger als Türk hält Ph.E. Bach von den "hässlichen" Nachschlagen (a.a.O. S. 61). Erst Schumann hat es verstanden, sie zu Ehren zu bringen, indem er durch sie ganz neue Effecte von zartester Innigkeit erzielte (z.B. in dem Phantasiestück "Warum?").
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Seite 67, Fußnote:
"indem alle Vorschläge stärker als die folgende Note sammt ihren Zierathen angeschlagen und an diese gezogen werden, es mag nun der Bogen dabei stehen oder nicht." Für den Pralltriller behauptet Ph.E. Bach sogar die technische Unvermeidlichkeit starker Tongebung (a.a.O. S. 74). Der Doppelschlag wird nach seiner Ansicht meistens gebraucht, um die Noten "glänzend zu machen (S. 76), legt aber besonders in langsamen Stücken manchmal seinen Schimmer ab und wird mit Fleiss matt gemacht" (S. 76).
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Seite 72, Fußnote:
Ph.E. Bach, a.a.O., S. 51 warnt überhaupt vor allzu schneller Ausführung der Verzierungen. "Alle Manieren erfordern ein proportioniertes Verhältniss mit der Geltung der Note ... Das brillante, welches die Manier hervorbringen soll, muss also nicht dadurch gehindert werden, wenn zuviel <73> Zeitraum von der Note übrig bleibt; im Gegentheil muss man auch durch ein allzuhurtiges Ausüben gewisser Manieren keine Undeutlichkeit verursachen etc.
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Seite 73, Fußnote:
Mit Erstaunen sehe ich, dass L. Köhler in seiner soeben erscheinenden Allgemeinen Musiklehre" (1883) S. 244 den kurzen Vorschlag in Widerspruch gegen alle Autoritäten vor die Zeit verlangt.
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