Chr.Fr.D. Schubart: Ästhetik der Tonkunst

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[Rousseau]

<268> Rousseau, dieser große Sonderling in der Literargeschichte, spielt auch in der Tonkunst eine sehr wichtig Rolle. Sein musikalisches Wörterbuch hat mit Recht großes Aufsehen in der Welt gemacht. Kein Meister hatte vor ihm mit so philosophischem Scharfsinn über die Musik nachgedacht, wie er. Seine Reflexionen über der Tönegang und Verhalt sind tief geschöpft, und meisterhaft vorgetragen. Er war ein Damm gegen den seichten Modegeschmack seiner Landsleute und hielt wenigstens die Innondationen desselben um einige Jahre zurück. So ein großer Verehrer vom welschen Geschmacke er war, so hielt er es doch nie ganz mit demselben. Er war vielmehr Eklektiker, und setzte aus welschen, französischen und deutschen Formen eine Gruppe zusammen, welche vortrefflich seyn würde, wenn sie uns ein Künstler darstellt. Ueber die Wirkung der Tonkunst auf das Herz des Menschen, über ihre nahe Verbindung mit der Dichtkunst und Mahlerey, über die Verschiedenheit des <269> musikalischen Geschmacks, und die Hauptepochen der Musikgeschichte; so wie über die Natur jedes einzelnen Tonstückes, - hat noch kein Schriftsteller so treffend räsonnirt, wie Rousseau. Nur sind seine Urtheile auch hier, wie in andern scientivischen Dingen, nicht selten paradox, und er glaubt schon genug gethan zu haben, wenn er von der gebahnten Heerstraße abweicht, und wie ein muthwilliges Roß über Hecken und Stauden hinweg rennt.

Rousseau sang sehr gut, und mit ungemeinem Gefühl. In der Begleitung des Flügels war er Meister; Solo aber spielte er aber nur mittelmäßig. Auch in der Composition hat er sich mit Vortheil gezeigt: sein Pygmalion ist nach Text und Musik ein Meisterstück; nur fällt es schwer auf, daß er zu sehr Sclave von seinem eigenen, nicht genug erwiesenen Systeme ist. Daher wirkte dieses Stück in Frankreich und Deutschland nur auf kurze Zeit. - Einseitigkeit des Geschmacks und Störrigkeit sich anzuschmiegen an den Geist seines Volks - verspricht allen artistischen Producten keine lange Dauer, und dieß war Rousseaus Fall.

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