Koch: Musikalisches Lexikon

Abstoßen

<42> oder absetzen. Man bezeichnet mit diesen Ausdrücken diejenige Vortragsart, bey welcher jeder Ton insbesondere so kurz angegeben wird, daß die Töne sehr merklich von einander abgesondert werden, und sich zwischen dem Anschlage derselben ein klangleerer Zwischenraum bemerken läßt. Dieses Abstoßen wird in den Stimmen entweder durch das Wort staccato (gestoßen), welches den Noten beygefügt wird, angezeigt, oder es werden über die Noten, die abgestoßen werden sollen, kleine senkrechte Striche oder Punkte gesetzt, z.B.

Notenbeispiel Sp. 43, Nr. 1

oder

Notenbeispiel Sp. 43, Nr. 2

<43> In dem Adagio, Largo, Lento, und dergleichen Sätzen von langsamer Bewegung, müssen alle Noten, die abgestoßen werden sollen, mit einem von den genannten Zeichen bemerkt <|> seyn, weil die gewöhnliche Vortragsart solcher Sätze erfordert, daß die Töne in einander schmelzend und gezogen ausgeübt werden. [FN: Siehe Adagio] In Sätzen von geschwinder Bewegung hingegen giebt es viele Arten von Passagen, bey welchen die Ausführer gewohnt sind, die Noten ohne besondere Anzeige, von selbst abzustoßen; daher pflegen die Tonsetzer dergleichen Passagen auch niemals mit den Zeichen des Abstoßens zu bemerken. Von dieser Beschaffenheit sind z.B. folgende Sätze, besonders wenn sie in Ripienstimmen vorkommen:

Notenbeispiel Sp. 43/44, Nr. 3

Es werden daher gewöhnlich nur solche Noten mit dem Abstoßzeichen bemerkt, die in dem Adagio, oder in einer andern Art des langsamen Zeitmaßes abgestoßen werden sollen; in Sätzen von geschwinder Bewegung <|> aber

  1. diejenigen Noten, die man ohne das Zeichen des Abstoßens, unterhaltend vorzutragen gewohnt ist, wie z.B. die Viertelnoten in folgendem Satze:
    Notenbeispiel Sp. 43/44, Nr. 4
  2. Diejenigen Noten, von welchen der Tonsetzer glaubt, daß sie nicht von jedem Ausführer staccato vorgetragen werden mögten. Dahin gehören alle Noten von nicht sehr geschwinder Bewegung, besonders wenn sie nicht sprungweise, sondern stufenweise auf einander folgen;
  3. Diejenigen, die mitten unter andern Noten ihrer Gattung, die mit einem Schleifezeichen bemerkt <|> sind, gestoßen werden sollen. Wenn z.B. der Tonsetzer verlangt, daß die beyden ersten Sechzehntheile in folgender Notenfigur geschleift, das dritte und vierte Sechzehntheil hingegen gestoßen werden soll, so müssen die beyden letzten mit dem Abstoßzeichen bemerkt werden, weil die Ausführer sonst glauben, daß sie ebenfalls, so wie die beyden ersten, geschleift werden sollen; z.E. <45>
    Notenbeispiel Sp. 45/46, Nr. 1

Die Tonsetzer pflegen oft auch über solche Noten das Abstoßzeichen zu setzen, welche man ohnehin abzustoßen gewohnt ist; in diesem Falle ist es ein Zeichen, daß die Noten noch kürzer, als es gewöhnlich geschieht, abgestoßen werden müssen.

Weil der gute und richtige Vortrag der Tonstücke eine Verschiedenheit der Grade des Abstoßens der Töne nothwendig macht, so wär zu wünschen, daß zu diesen verschiedenen Graden desselben auch verschiedene Zeichen eingeführt worden wären. Wenigstens ist es zu bedauern, daß, da man sich doch einmal zweyerley <|> Zeichen dazu bedient, nemlich der Punkte und der kleinen Striche, man nicht darinne überein gekommen ist, welches von diesen beyden Zeichen einen höhern oder schärfern Grad des Abstoßens anzeigen soll. Bey einer Folge von gleichartigen Noten, z.B. bey einer Folge von Vierteln oder Achteln, bedienen sich die Tonsetzer, wenn die Töne abgestoßen werden sollen, sehr oft, anstatt der darüber zu setzenden Punkte oder Striche, des Mittels, sie durch Pausen zu trennen, und schreiben die Sätze bey Fig. 1 und 2, so, wie bey Fig. 3 und 4.

Notenbeispiel Sp. 45/46, Nr. 2

Noch eine besondere Art des Abstoßens der Noten auf den Bogeninstrumenten findet man in dem Artikel Piquiren.

zurück
nach oben