Riemann: Klavierschule op. 39,1

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II. Technisches.

§ 5. Anschlag. Pedalgebrauch.

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<11> Die Bewegungen der Finger beim gewöhnlichen Legato und Staccato sollen blitzartig schnell sein, [FN] sowohl beim Anschlag als beim Zurückgehen von der Taste; nur dadurch ist ein sauberes, und exaktes Spiel zu erzielen, Da ich bei meinen Schülern vielfach auf Mangel an Energie stiess, sah ich mich veranlasst, die Schnelligkeit der Bewegungen speziell einüben zu lassen und zwar durch Anschlagsübungen der einzelnen Finger in sehr langsamer Folge (vgl. Materialien, 2. Heft, 1. Abth.). Der Erfolg war durchweg ein befriedigender, theilweise ein überraschender, sofern die vorher vermisste Energie durch diese Übungen der Willenskraft geweckt wurde. Über einige Vortragsarten, bei denen die Schnelligkeit der Bewegungen nicht am Platze ist, wird besonders zu sprechen sein.

<12> Die beiden Hauptanschlagsarten sind das Legato und das Staccato. [FN] Bei ersterem wird jeder Ton ausgehalten bis zum Eintritt des folgenden derselben Stimme; beim Staccato werden die einander folgenden Töne, von einander gesondert durch Einschaltung mehr oder minder langer Pausen. Das eigentliche strenge Legato, welches Töne im Crescendo und Diminuendo so zu verbinden gestattet, dass die Schattirung weiter wächst oder <13> abnimmt, ohne dass der neue Ton eine ruckweise Veränderung der Tonstärke veranlasst, ist ja dem Klavier versagt. Das Anschwellen des Tones ist auf dem Klaviere eine Unmöglichkeit da dessen Töne stets direkt nach dem Hammeranschlag am stärksten sind und dann schnell abnehmen; das Crescendo einer Tonfolge erscheint daher auf dem Klaviere stets als eine Folge von Tönen, in der jeder folgende stärker angeschlagen ist als der vorausgehende, während zwischen die einzelnen Anschläge unvermeidlich ein schnelles Diminuendo sich einschiebt. Über diesen Mangel vermag nur schnelles Figurenwerk hinwegzutäuschen, das daher eine Stileigenthümlichkeit der Klaviermusik ist. Zwar ist die Macht und Fülle unserer heutigen Flügel imposant gegenüber dem spitzen, kurzen Tone der Instrumente des vorigen Jahrhunderts, ja noch der zu Anfang des unseren; aber das Diminuendo des Tones nach dem Anschlag ist eine Naturnothwendigkeit, und nur durch wiederholten Anschlag (Tremolo, Tonrepetition) ist ein scheinbares Crescendo desselben Tones erreichbar. Durch diese Grenze der Tonfähigkeit des Instruments [FN] sind die Hauptgesetze für seine Behandlung schon gegeben. Ergänzend sei gleich bemerkt, dass das Phänomen des Mittönens eine geringe Verstärkung des Tones kurz nach dem Anschlag bewirkt, hinreichend, wenigstens ein allzuschnelles Diminuendo zu verhüten. Jeder Ton versetzt diejenigen Saiten in Mitschwingung, welche seiner Obertonreihe, z.B. für c'

Notenbeispiel S. 13, Nr. 1

und seiner Untertonreihe, z.B. für c'

Notenbeispiel S. 13, Nr. 2

entsprechen. Die Saiten der ersteren verstärken die Obertöne, die der letzteren schwingen mit Knoten und verstärken den Hauptton. [Fußnote: Vgl. Helmholtz, Lehre von den Tonempfindungen (4. Aufl., 1877), S. 60 ff.] Da zur Erzeugung kräftiger Mitschwingungen eine gewisse <14> (aber sehr kurze) Zeit gehört, so tritt die Tonverstärkung nicht, im Momente des Anschlags, sondern gleich nach demselben ein, d.h. sie verhindert ein allzuschnelles Diminuendo. Da aber das Mittönen dieser Saiten nur bei gehobener Dämpfung möglich ist so erscheint der fortgesetzte Pedalgebrauch [FN] als eine Forderung im Interesse der Bekämpfung des schlimmsten Mangels der Klaviertöne. Der Schüler muss sich also, nachdem er diese Einsicht genommen, einer der wohl meist verbreiteten völlig entgegengesetzten Auffassung der Bedeutung des Pedals befleissigen; er betrachte dasselbe nicht als ein Mittel, gelegentlich stärkere Klangwirkungen hervorzubringen, sondern sehe im Klavier mit gehobener Dämpfung die eigentliche Naturform des Instruments und im Pedal nur ein Mittel, das Nachklingen von Tönen, welche zu den neu angeschlagenen nicht harmoniren, zu verhindern. Nicht <15> das rechtzeitige Verstärken, sondern das rechtzeitige Abdämpfen ist es, was der Schüler zu lernen hat. Da die durch Anschlag in Schwingung versetzten Saiten die eigentliche Tonquelle sind, so muss man, wo ein Nachklingen des Tones beabsichtigt ist, vor allem die Taste fest heruntergedrückt halten; denn sofern nicht die Dämpfung bis zum höchsten Punkte der Möglichkeit gehoben ist, wird jedes vorzeitige Verlassen der Taste oder auch nur ein halbes Zurückgehen derselben die Schwingungen der Saiten des angeschlagenen Tones behindern, d.h. die Tonstärke abschwächen. Daher ist für das singende Legato des Klaviers erstes Erforderniss das Festhalten der Taste in ganz herabgedrückter Lage bis zum Erklingen des neuen Tones; dazu ist ein nicht unbeträchtlicher Druck erforderlich. Die Thätigkeit <16> der Finger ist daher beim Legato-Spiel zunächst Schlag (im Moment des Anschlags) und sodann anhaltender Druck. Wo es sich nur um mässige Tonstärke handelt, wird dafür das Handgewicht ausreichen, d.h. das Handgelenk wird freigegeben und die Hand ruht stets auf dem gerade spielenden Finger. Beim Crescendo und Forte tritt zum Handgewicht noch ein wirklicher Druck durch die Armmuskeln, Sobald ein neuer Ton an die <17> Stelle des ersten tritt, muss der alte erlöschen; da aber die Saite noch weiter schwingt, solange die Taste nicht völlig losgelassen ist, der Ton also während eines langsamen Aufhebens des Fingers nur allmählich erlöschen würde, so ist es durchaus nothwendig, dass zur Verhütung von Schwebungen im Moment des neuen Anschlags der Finger die alte Taste mit blitzartiger Geschwindigkeit verlässt. Die Taste wird dann nicht allein vermöge ihres eigenen Balancements schneller emporspringen, sondern durch den auf ihr fest anfliegenden Finger noch besonders schnell emporgerissen werden.

Da der rechte Gebrauch des Pedals an sich eine schwere Aufgabe ist, so muss bei den ersten Anschlagsstudien, überhaupt bei den auf Entwickelung der Fingerkraft und Geläufigkeit berechneten rein technischen Vorübungen vom Gebrauch des Pedals abgesehen werden. Dasselbe tritt aber sogleich bei den ersten zweihändigen Musikstücken ein; ich habe einfach durch * die Stellen bemerkt, wo die Dämpfung, schnell herabzulassen, d.h. der Fuss zu heben ist, um sogleich wieder herabgedrückt zu werden.

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