Sulzer: Theorie der Schönen Künste

Solo.

(Musik.)

<423li> Man bedient sich dieses italiänischen Wortes, um ein Stük, oder solche Theile eines Stüks, wo ein Hauptinstrument mit oder ohne Begleitung sich allein hören läßt, zu bezeichnen. [...]

<423re> Ein solches Solo, welches auch oft Sonate genennet wird, besteht wie diese insgemein aus drey Stüken von verschiedener Bewegung [Sonate], und hat gemeiniglich blos die Geschiklichkeit des Solospielers Schwierigkeiten vorzutragen, und die Annehmlichkeit des Instruments zu zeigen, zum Endzwek. Daher wird bey der Composition desselben insgemein weniger auf einen reinen Satz und sangbare Melodie, noch auf Charakter und Ausdruk, sondern oft blos auf unerwartete Fortschreitungen, fremde und schwere Passagen, übernatürliche hohe Töne, Sprünge, Läufer, Doppeltriller und dergleichen Schwierigkeiten, die auf das geschikteste vorgetragen werden müssen, wenn sie gefaßt werden sollen, gesehen; und die Ausführung hat wengier den Zwek, zu rühren, als Bewundrung zu erregen. Wenn ein Solospieler die geringste Anlage zur Composition bey sich fühlet, und es so weit gebracht hat, daß er das, was er auf seinem Instrument herausklaubt, zu Papier bringen kann, so setzt er sich seine Solos selbst, weil Niemand ihm sie zu Dank machen kann, und weil Niemand, als er selbst, besser wissen kann, was er auf seinem Instrument herauzubringen fähig ist. Es setzt das Adagio oft in ganz simplen Noten, die, wenn man sie singt, ohne Rhythmus, ohne Gesang und ohne Geschmak sind: aber seine Phantasie weiß sie im Vortrag mit so vielen Feinheiten und Coloraturen zu verbrämen, daß es in Wahrheit eine Lust ist, zu sehen, wie andere ihm zuhören. Oft enthält ein Solo auch blos anscheinende Schwierigkeiten: dergleichen ist das <424li> Flageolet oder das Pizzicato während dem Spielen auf der Violine, das Harpgeggio, oder das Händeüberschlagen auf dem Clavier, und lange Triller oder Läufer durch die Tonleiter herauf und herunter, auf den mehresten Instrumenten; mit sechs solchen auswendig gelernten Solos erregt ein Solospieler oft die Bewunderung der ganzen Welt. Fehlet ihm gleich dabey das Vermögen, einen einzigen Takt aus den Ripienstimmen, wie es sich gehört, mitspielen zu können: so wird ihm doch nur von Wenigen, die es verstehen, der Name eines Virtuosen versagt.

So sind die schlechten und die mehresten Solos und Solospieler beschaffen. Ein guter Solospieler ist zugleich ein guter Ripienist; und hat er den Vortrag in seiner Gewalt, so sucht er Ausdruk darein zu bringen, und nicht sowol durch seine Fertigkeit zu frappiren, als durch die leidenschaftlichen Töne, die er seinem Instrument erpreßt, auf das Herz seiner Zuhörer zu würken. Ein gutes Solo ist eben das, was wir eine gute Sonate nennen; hievon wird im folgenden Artikel umständlicher gesprochen werden. Zur Uebung der Fertigkeit und des guten Vortrages sind die Solos von mannichfaltiger Art jedem Instrumentspieler die unentbehrlichsten Stüke.

[...]

zurück