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Czerny: Briefe über den Unterricht

Dritter Brief

(Zwey Monathe später.)

Über Takt, Eintheilung und Fingersatz.

<19> Mein Fräulein!

Die Nachrichten über Ihre weitern Fortschritte haben mich sehr erfreut.

Ihre Finger fangen schon an, eine schön geregelte Beweglichkeit zu entwickeln; der Anschlag und Vortrag ist nicht mehr so zusammen geklebt; die Fingerübungen, die Läufe und Scalenpassagen gehen schon ziemlich schnell, leicht, und gleich; und endlich spielen Sie bereits mehrere Dutzend Stückchen fehlerfrey, und grösstentheils ohne Stottern. Sehen Sie, Fräulein, dass ein verständiger Fleiss und Gehorsam gegen die Vorschriften des Lehrers bald mit erfreulichem Erfolge belohnt wird?


Die Schwierigkeit, welche Ihnen noch das Beobachten der #, b, X, und bb macht, wird sich auch bald verlieren, wenn Sie dabey Ihr Gedächtniss gehörig anstrengen, und sowohl jene Versetzungszeichen, welche zu Anfang des Tonstückes vorgezeichnet sind, als jene, die <20> zufällig im Takte vorkommen, sich stets recht wohl merken, und schnell beobachten lernen. Aber Takt und Eintheilung machen Ihnen, wie Sie mir schreiben, noch manche Mühe, und wir wollen uns daher heute darüber ein wenig unterhalten.

Die Eintheilung ist in der Musik eine so sichere und fest bestimmte Sache, dass man nicht leicht dagegen fehlen kann, wenn man jede Note und Pause genau nach ihrem Werthe aushält, und wenn man dabey mehr das Auge als das Gehör zu Rathe zieht. Denn das Auge sieht immer richtig, wenn es vom Gedächtniss unterstützt wird, aber das Gehör für sich allein kann sich beym Anfänger mehr oft täuschen.

Der Notenwerth wird, wie Sie wissen, mit den Fingern auf der gehaltenen Taste, und dagegen jede Pause mit freygehaltenen Fingern ausgedrückt, und man muss sich hüthen, dieses zu verwechseln: denn jede Note muss genau so lange gehalten werden, als es ihr geschriebener Werth erfordert, und man darf die Taste weder früher noch später verlassen.

So einfach und leicht diese Regel scheint, so wird dagegen doch sehr oft, selbst von bessern Spielern, gesündigt.

Dieses kommt daher, dass die Meisten sich in dieser Hinsicht schon in der ersten Zeit vernachlässigen, - theils aus Unachtsamkeit, und <21> theils auch, weil manchmal das Halten der Taste etwas unbequem scheint, oder auch, weil die Finger zu faul und zu bequem sind, um die Taste zu rechter Zeit zu verlassen.

Wer die Tasten zu lange hält, der gewöhnt sich zuletzt ein klebrichtes, undeutliches, oft misstönendes Spiel an.

Wer sie zu früh auslässt, dessen Spiel wird zerrissen, ohne Gesang, und artet zuletzt in Hacken und Schlagen aus. Dass also beydes auf falsche Wege führt, brauche ich Ihnen nicht ferner zu entwickeln.

Die Kunst der Eintheilung besteht darin, dass man die geschwindern Noten genau und zu rechter Zeit unter die langsamern anbringe.

Da es aber bisweilen Notengruppen gibt, welche sehr geschwind vorgetragen werden müssen, wenn sie das Zeitmaass und den Takt gehörig ausfüllen sollen, so werden Sie begreifen, Fräulein, wie nöthig es ist, dass sich die Finger bey Zeiten eine grosse Fertigkeit und Schnelligkeit angewöhnen: denn ohne diese ist man, (selbst bey der besten Kenntniss der Eintheilung,) doch alle Augenblicke in Gefahr, entweder im Tempo zurück zu bleiben, oder diese geschwinden Noten auf irgend eine Art zu verpfuschen.

Sie sehen, dass auch hier das fleissige Exerzieren der Fingerübungen und Scalen eine grosse Erleichterung, verschafft; denn zum <22> schnellen Erkennen des verschiedenen Notenwerthes bedarf es nur des geübten Blicks, aber zur schnellen und richtigen Ausführung desselben bedarf es auch noch der wohlgeübten Finger.

Es ist sehr vortheilhaft, dass Ihr würdiger Lehrer bey jedem Stücke die einzelnen Takttheile theils laut zählt, theils mit einem Hölzchen schlägt, wodurch Sie genöthigt sind, stets im rechten Tempo zu bleiben. Eben so nützlich ist es, dass Sie bereits mehrere leichte Stückchen zu vier Händen einstudiert haben, und dabey auch bisweilen die untere Bassstimme einstudieren mussten.

Folgende zwey Hauptsachen sind zum Spiel nothwendig und unerlässlich:

  1. Ein strenges Reingreifen.
    Denn jeder falsche Ton ist auch ein Misston, der meistens sehr hässlich klingt, und dem Gehör eben so unangenehm fällt, wie dem Auge ein Tintenfleck auf einem weissen Kleide.
  2. Ein richtiges Takthalten.
    Denn ohne Takt ist jede Musik unverständlich, verwirrt, und geht für den Zuhörer verloren.

Zum Reinspielen gehört Aufmerksamkeit, Ruhe, gute Haltung der Hände, richtiger Fingersatz, und die nothwendige Angewöhnung, <23> jede Taste in der Mitte ihrer Breite anzuschlagen, und keine Nebentaste zu berühren.

Zum Takthalten gehört noch Folgendes:

Beym ersten Entziffern eines neuen Tonstückes kann der Anfänger natürlicherweise nicht leicht im Takte spielen, da er auf das Reingreifen und auf den Fingersatz zu sehr Acht zu geben hat, und bey jeder falschgegriffenen Taste stehen bleiben muss, um sie zu verbessern.

Sobald aber dieses berichtigt ist, dann müssen Sie trachten, das Stück, anfangs zwar langsam, aber streng im Takte fortzuspielen, und so lange zu üben, bis es so schnell geht, als der Tonsetzer es haben will.

Wenn Sie sich angewöhnen könnten, während dem Spiele selber laut zu zählen, so wäre es allerdings vortheilhaft. Aber dieses ist desshalb schwer, weil man dabey im freyen Spiel gehindert wird, und überdiess so leicht in den Fehler verfällt, ungleich zu zählen. Daher ist es, (wenn Sie allein üben,) besser, nur in Gedanken zu zählen, und dabey recht aufmerksam Ihr gutes Gehör zu Rathe ziehen, um sich zu erinnern, wie das Tonstück in Gegenwart des Lehrers geklungen hat. Das Taktschlagen mit dem Fusse ist nicht wohl anzurathen, weil es leicht zur übeln Gewohnheit wird.

Wenn in beyden Händen längere Pausen vorkommen, dann ist das Zählen, (in Gedanken oder auch laut,) am nothwendigsten, denn <24> Sie wissen, dass in einem Tonstücke jeder Takt genau so viel Zeit ausfüllen muss, wie der andere, er mag aus Noten oder aus Pausen bestehen.

Ich habe bisher von jener Art des Takthaltens gesprochen, wo man weder stecken bleiben, noch etwas auslassen oder überspringen darf.

Aber es gibt noch eine andere Art des Takthaltens, wo man zwar alles dieses ganz richtig beobachten, aber dabey dennoch gegen den Takt fehlen kann.

Dieser Fehler besteht darin, dass man im Laufe des Tonstückes entweder immer schneller, oder immer langsamer wird, oder dass man bald zu geschwind, bald wieder zu schleppend spielt.

In den Fehler des Eilens verfallen meistens gerade so junge lebhafte Persönchen, wie mein liebes Fräulein Cäcilie, und wer weiss, ob ich es nicht errathen habe, dass Sie bisweilen ein Stückchen, welches schon recht geläufig geht, zwar ganz ruhig und fromm anfangen, dann aber ins Feuer gerathen, immer geschwinder werden, und zuletzt so schnell schliessen, als ob Ihre Finger ein kleines Wettrennen gehalten hätten.

Hab' ich nicht recht gerathen?

Um dieses zu vermeiden, müssen Sie auch jene Stücke, welche Sie schon ganz vollkommen <25> spielen, noch immer so ruhig und aufmerksam üben, wie diess Anfangs beym Einstudieren derselben der Fall war, und Sie dürfen dabey den Fingern durchaus keine Willkühr gestatten, oder dabey zerstreut seyn. Denn die Finger sind kleine ungehorsame Geschöpfe, wenn man sie nicht im Zügel hält, und rennen gerne wie ein junges Pferd davon, sobald sie einige Geschicklichkeit erlangt haben.

Der entgegengesetzte Fehler des Langsamerwerdens entsteht meistens, wenn man unvorsichtig zu schnell anfangt, und sodann auf Schwierigkeiten stosst, welche man in diesem Tempo nicht ausführen kann.

Daher ist es eine Hauptregel, dass man ein Tonstück niemals schneller anfangen soll, als man mit Sicherheit bis an das Ende fortsetzen kann.

Es gibt allerdings Ausnahmen von diesen Regeln, welche Sie aber erst später erfahren sollen, wenn Sie den höhern Ausdruck und Vortrag kennen lernen werden.

Sie werden bereits bemerkt haben, wie nothwendig ein richtiger Fingersatz ist. Ein einziger übelgewählter Finger kann oft verursachen, dass eine ganze Passage verunglückt, oder holprig und hässlich klingt.

Da Sie ohne Zweifel alle Anfangsstückchen genau mit dem bezeichneten Fingersatze einstudiert haben, so sind Ihre Finger schon bis zu <26> einem gewissen Grade an einen regelmässigen Satz gewöhnt. Da Sie aber später in andern Compositionen oft hierüber in Zweifel gerathen könnten, so will ich Ihnen, ehe Sie zu dem zweyten, vom Fingersatz handelnden Theile der Clavierschule übergehen, vorläufig einige Regeln in Bezug auf dasjenige mittheilen, was beym regelmässigen Fingersatze beobachtet, oder vermieden werden muss.

  1. Wenn mehrere Tasten nach einander auf- oder abwärts anzuschlagen sind, und dabey die 5 Finger nicht ausreichen, so dürfen niemals die langen 4 Finger übereinander geschlagen werden, sondern man muss entweder den Daumen untersetzen, oder die 3 mittlern Finger über den Daumen überschlagen.
  2. Der Daumen darf dabey niemals auf die Obertasten kommen.
  3. Man darf nicht zwey oder mehrere Tasten nacheinander mit Einem und demselben Finger anschlagen, sondern jede Taste muss stets ihren eigenen Finger erhalten.
  4. Der kleine Finger darf in einem langem Laufe ebenfalls niemals auf Obertasten gesetzt werden.
  5. Bey Accorden und grössern Spannungen kann jedoch der Daumen, sowie der kleine Finger auch auf Obertasten kommen.
  6. <27> Die bey den Scalen bestimmte Fingersetzung muss, so viel als möglich, überall angewendet werden.
  7. Bey jeder Note die man anschlägt, muss man darauf sehen, ob für die nachfolgenden Noten die zweckmässigsten Finger in Bereitschaft stehen.

Ueberhaupt muss stets diejenige Fingersetzung ausgewählt werden, bey welcher die Ruhe und schöne Haltung der Hände, fester und senkrechter Anschlag, so wie richtige Haltung der Tasten, und ein schön gebundenes Spiel in der Melodie und in den Scalen, am leichtesten und natürlichsten beobachtet werden kann.

Ich bin so überzeugt, dass eine genaue Beachtung alles bisher Gesagten Sie in kurzer Zeit alle Elementarschwierigkeiten überwinden machen wird, dass ich mich darauf freue, in den nächsten Nachrichten von Ihnen die Bestätigung davon zu erhalten, und daher in dieser Zuversicht verbleibe etc. etc.

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