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Hiller: Lebensbeschreibungen berühmter Musikgelehrten

Tartini (Joseph)

<267> Joseph Tartini ward im Monat April des Jahres 1692, zu Pirano, einem Landgute in Istrien, geboren. Sein Vater, Johann Anton, und seine Mutter, Catharina, waren beide bügerlichen Standes; der erste aus Florenz, die andere aus Pirano. Da aber sein Vater die Cathedralkirche zu Parenzo ansehnlich beschenkt hatte, so nahmen ihn die Bürger, aus Dankbarkeit, unter ihren Adel auf.

Joseph war, nebst noch drey andern Brüdern, auf bürgerliche Art erzogen. Er besuchte zuerst die Schule der Priester dell'Oratorio di S. Filippo Neri. Da er aber einen lebhaften Geist, und viel Fassungskraft verrieth, ward er in die Schule der Padri delle scuole pie zu Capo d'Istria geschickt, wo er sich vornehmlich auf die Humaniora und die Rhetorik legte, nebenher aber die Anfangsgründe der Musik und der Violin erlernte.

Er hatte außerdem eine große Neigung zur Fechtkunst, in welcher er nicht allein seine andern Mitschüler übertraf, sondern es auch seinem Meister bald gleich that. Seine Eltern hatten sich geschmeichelt, daß er in den Franciscanerorden der Minoriten treten würde, und ihm zu dem Ende <268> auf eigene Kosten, ein Paar Zellen im Kloster auszieren lassen; da sie ihn aber dazu nicht bereden konnten, schickten sie ihn im Jahr 1710 auf die Universität nach Padua, um allda die Rechtsgelehrsamkeit zu studiren, und sich zu einem Advocaten geschickt zu machen.

Sein fähiger Kopf fand bey dieser Art der Studien nichts Beschwerliches. Es blieb ihm Zeit genug übrig zu ritterlichen Uebungen, besonders den Degen geschickt führen zu lernen. Es geschah daher auch, entweder aus Nacheiferung, oder aus natürlicher Lebhaftigkeit, daß er öfters Schlägereyen mit andern Studenten hatte. Da er nun sahe, daß es hier niemand mit ihm aufnehmen könnte, beschloß er, entweder nach Neapel, oder nach Frankreich zu gehen, und daselbst einen Fechtmeister abzugeben. Die Violin ließ er indeß nicht ganz liegen, ob er gleich nur langsame Progressen darauf machte.

Da er unterdeß das zwanzigste Jahr erreicht, und von der Natur einen gefälligen Charakter, nebst einem empfindsamen, zur Liebe sehr geneigten Herzen bekommen hatte, verliebte er sich in ein junges Frauenzimmer, die er unterrichtete, so heftig, daß er sie, allen Schwierigkeiten zum Trotz, aller Ungleichheit des Standes und Vermögens ungeachtet, zu heyrathen beschloß. Die Heyrath war schon vollzogen, als <269> seine Eltern Nachricht davon erhielten [FN]; sie wurden darüber so aufgebracht, daß sie die Hand gänzlich von ihm abzogen, und den sonst gereichten Zuschuß zurück behielten. Da er sich nun der benöthigten Unterstützung beraubt sahe, ließ er seine Frau zu Padua, und machte sich, als ein Pilgrim verkleidet, nach Rom auf den Weg. Zu diesem schleunigen Entschlusse brachte ihn am <270> meisten der Umstand, daß seine Frau aus einer Familie war, die von dem damaligen Bischoffe zu Padua, dem Cardinale Georg Cornaro, abhing. Er hatte sich, wie leicht zu vermuthen ist, auch dieses Prälaten Zorn zugezogen; der es denn auch an nichts fehlen ließ, um ihn in seine Hände zu bekommen. Tartini war indeß vorsichtig genug, um den Nachstellungen des Cardinals zu entgehen.

Nachdem er bald da, bald dort, umher geirrt war, begab er sich in das Minoritenkloster zu Assisi, allwo er einen Mönch aus Pirano antraf, welcher Küster des Klosters, und sein naher Anverwandter war. Diesem erzählte er seine unglückliche Begebenheit, so daß der gute Pater zum Mitleid bewogen ward, und ihn heimlich im Kloster behielt; wodurch die Nachstellungen des Cardinals völlig fruchtlos gemacht wurden, indem dieser nun alle Spur, und gewissermaßen alle Wahrscheinlichkeit verlor, seiner je habhaft zu werden.

Hier blieb er ein Paar Jahre; und da er sich nie aus dem Kloster heraus wagte, so legte er sich nun ernstlicher auf das Violinspielen, und mit dem glücklichsten Erfolge. Er genoß hier öftern Unterricht in der Musik von dem Pater Boemo, welcher hernach, als Organist an der Kirche des Klosters, berühmt ward.

<271> Sein Aufenthalt wäre ohne einen seltsamen Zufall nicht leicht entdeckt worden. Als er einst, an einem Feste, in der Kirche auf dem Chore die Violin spielte, hob ein heftiger Windstoß den Vorhang des Orchesters auf, und hielt ihn eine Weile in die Höhe, so daß er von dem Volke in der Kirche gesehen werden konnte. Ein Paduaner, der sich unter diesem befand, erkannte ihn, und verrieth, als er nach Hause kam, den Aufenthalt des Tartini im Kloster zu Assisi. Diese Neuigkeit kam sogleich seiner Frau, und auch dem Cardinale zu Ohren. Der Zorn bey dem letztern hatte sich gelegt; und Tartini ward von nun an der bescheidenste, demüthigste und frömmste Mensch, der er auch bey den widerwärtigsten Zufällen des Lebens unveränderlich geblieben ist.

Bald nach seiner Zurückkunft ging er mit seiner Frau nach Venedig, wohin er verschrieben war, um in einer Akademie zu spielen, welche in dem Palaste der Donna Pisana Mocenigo, dem damaligen Königl. Churprinzen von Sachsen zu Ehren angestellt ward. Hier fand Tartini den berühmten Violinisten Veracini, aus Florenz, dessen kühne und dem Tartini ganz neue Spielart ihn so erstaunt machte, daß er, Trotz des Ruhms, den er vor sich hatte, den folgenden Tag Venedig zu verlassen beschloß. Er schickte seine Frau zu seinem Bruder nach Pirano, <272> und begab sich nach Antona, um den Gebrauch des Bogens zu studiren, und es dem Veracini je eher je lieber gleich zu thun. Es geschah dieß im Jahre 1714, in welchem Jahre er auch das Phänomen des dritten Klanges [FN] entdeckte, welches er hernach zur Grundregel aller musikalischen Zusammenstimmung, bey seiner Schule machte. Diese Schule nahm im Jahre 1728 ihren Anfang, und dauerte fort so lange er lebte. Schwerlich wird sich ein Musikmeister rühmen können, so viele Schüler, und aus so verschiedenen Ländern, gehabt zu haben, als Tartini; weswegen man ihn in Italien auch den Lehrmeister der Nationen (il mestro delle nazioni) nannte. [FN] Nardini ist einer seiner berühmtesten Schüler.

<273> Im Jahre 1721, ward er bey der Kirche des heil. Antonius [FN 1] zu Padua, als erster Violinist angenommen. Diesen Dienst zog er nach der Zeit allen vortheilhaften Anerbietungen vor, die ihm aus verschiedenen Ländern, aus Frankreich, England und Rußland gemacht wurden. Seine Genügsamkeit erhellet aus einem Schreiben an den Marchese Ferdinando degli Obizzi: "Ich habe, schreibt er, eine Frau, die mit mir gleiches Sinnes ist, und habe keine Kinder. Wir sind mit unserm Zustande sehr zufrieden; und wenn sich ja ein Wunsch in uns regt, so ist es doch der nicht, mehr zu haben." Indeß folgte er im Jahre 1723 einer Einladung nach Prag, zu den Krönungsfeyerlichkeiten Kaiser Carls VI., und blieb, nebst dem damals berühmten Violoncellisten D. Antonio Vandini, seinem vertrauten Freunde, drey Jahre lang in Diensten des Grafen Kinski. Bey dieser Gelegenheit hörte ihn Quanz, und sein Urtheil lautet folgender Gestalt [FN 2]: "Er war in <274> der That einer der größten Violinspieler. Er brachte einen schönen Ton aus dem Instrumente. Finger und Bogen hatte er in gleicher Gewalt. Die größten Schwierigkeiten führte er, ohne sonderliche Mühe, sehr rein aus. Die Triller, sogar die Doppeltriller, schlug er mit allen Fingern gleich gut. Er mischte, sowohl in geschwinden als langsamen Sätzen, viele Doppelgriffe mit unter, und spielte gern in der äußersten Höhe. Allein sein Vortrag war nicht rührend, und sein Geschmack nicht edel, vielmehr der guten Singart ganz entgegen." Es ist kein Zweifel, daß in der Folge der Zeit, Tartini noch alles das vollkommen erreicht habe, was Quanz damals an seinem Spielen vermißte. Man kann es gewißermaßen aus der kleinen Anekdote schließen, daß Tartini, wenn sich ein Violinist hören ließ, der blos Fertigkeit der Finger und des Bogens zeigte, immer zu sagen pflegte: "Es ist schön, es ist schwer; aber hier (wobey er die Hand auf die Brust legte) hat es mir nichts gesagt."

Nachdem die drey Jahre bey dem Grafen Kinski verflossen waren, kehrte Tartini, nebst seinem Freunde Vandini, wieder nach Padua zurück. Er gab auch nachher keinem Rufe zu auswärtigen Diensten mehr Gehör, ob ihm gleich der englische Lord Eduard Walpole solche <275> Anerbietungen that, daß es jedermann für thöricht hielt, sie auszuschlagen. Der Lord Midlesex ließ ihm im Jahre 1744, 300 Pfund Sterling anbieten, wenn er mit ihm nach London gehen wollte; aber auch diese konnten ihn nicht bewegen. Der Marchese degli Obizzi war dabey der Unterhändler gewesen, und bey dieser Gelegenheit gab ihm Tartini die oben angeführte schriftliche Antwort.

Wie wenig er sich aus den Gütern der Erde machte, gab er auch durch mancherley mildthätige Handlungen zu erkennen. Er unterstützte arme Wittwen und Waisen, und ließ Kinder armer Eltern auf seine Kosten in der Religion und andern nützlichen Kenntnissen unterrichten. Eben so gut gesinnt war er auch gegen seine Schüler, deren er verschiedene um sehr geringen Preis, so wie andere ganz umsonst, unterrichtete.

Fleiß und Treue in seinem Berufe, Uneigennützigkeit, Menschenliebe, und ungeheuchelte Gottesfurcht, sind Tugenden, die man dem Tartini mit Grunde nachrühmen kann. In seinen ältern Jahren bekam er einen Krebsschaden an einen Fuße, der ihm, bey öftern Anfällen der heftigsten Schmerzen, nicht allein ein Mittel ward, seine Geduld zu üben, sondern auch Gelegenheit gab, sich zu seinem Tode vorzubereiten, welcher denn auch am 26. Februar 1770 erfolgte. Er <276> ward in der Parochialkirche der heil. Catharina begraben, und ihm zu ehren den 31. März darauf eine solenne Function in der Kirche der Serviten angestellt, wobey der Abbate Fanzago die oben erwähnte Lobrede hielt. Die ganze Veranstaltung rührte von einem dankbaren Schüler und nunmehrigen Nachfolger des Tartini, von dem Herrn Giulio Meneghini her. Die sämtliche Kapelle des heil. Antonius war zur Aufführung des Requiems versammelt.

Nun sind nur noch die musikalischen Werke des Tartini anzuführen. Die praktischen bestehen aus zwey Büchern Sonaten für eine Violine und Baß, davon das erste zu Amsterdam im Jahre 1734, das zweyte aber zu Rom im Jahr 1745 in Kupfer gestochen ist. Die Zahl der Sonaten, die blos geschrieben in der Liebhaber Händen sind, beläuft sich auf mehr als zweyhundert. Eben so hoch rechnet man auch die Zahl der Concerte, von denen achtzehn bey le Cene in Amsterdam, ohne Vorwissen des Autors, und mit so vielen Veränderungen in Kupfer gestochen sind, daß er sie nie für die seinigen erkennen wollte. Alle seine geschriebene Musikalien hat der Graf von Thurn und Taxis zu Venedig, ein Scholar und großer Freund von ihm, geerbt. Dem P. Colombo aber soll er aufgetragen haben, ein Werk von der Theorie des Klanges, <277> nach seinem Tode heraus zu geben; ein durchaus mathematisches Werk.

Zu seinen theoretischen Werken gehören:

  1. Trattato di Musica secondo la vera scienza dell'armonia, gedruckt zu Padua im Jahre 1754. Da gegen diesen Tractat von einem Dilettanten, dem Herrn Serre in Genf, verschiedenes erinnert ward, so folgte:
  2. Risposta di Giuseppe Tartini alla critica del di lui Trattato di Musica di M. Serre di Ginevra, gedruckt zu Venedig im Jahr 1767. In eben dem Jahre ließ er zu Padua eine sogenannte Dissertation drucken.
  3. Dei Principj dell'armonia musicale contenuta nel Diatonico genere. Dieser letztere Tractat soll eine Erläuterung des ersten seyn, der vielen confus und dunkel vorgekommen war. Kurz nach seinem Tode kam in Venedig auf einem halben Bogen in Octav heraus:
  4. Lettera del defunto Giuseppe Tartini alla Signora Maddalena Lombardini, inserviente ad una importante lezione per ___sonatori di Violino.

Dieser Brief ist für die Anfänger des Violinspielens von Wichtigkeit. Das Frauenzimmer, an die er geschrieben ward, ist unter dem Namen der Madame Sirmen, als eine geschickte Violinspielerin, und durch ihre in Kupfer gestochene Violinconcerte bekannt.

<278> Das Hauptsächlichste, was ein angehender Violinist zu beobachten hat, ist in diesem Briefe mit solcher Kürze und Deutlichkeit gesagt, daß eine deutsche Uebersetzung desselben manchem Leser nicht unangenehm seyn wird, da es zumal schwer halten möchte, das zu Venedig auf einen halben Bogen gedruckte Original zu bekommen. Hier ist sie:

Brief des Joseph Tartini an Magdalena Lombardini, enthaltend eine wichtige Lection für die Violinspieler.

[... - Text ist noch nicht erfaßt]

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