Quantz: Anweisung - Kap. 18

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§. 68. Alle italiänischen Opern sind, wenn man sie im Ganzen betrachtet, auch nicht lauter Meisterstücke. Obgleich ihre vornehmsten Operndichter, sich, absonderlich seit dem Anfange dieses Jahrhunderts, alle Mühe gegeben haben, die Singspiele von vielen Ausschweifungen zu reinigen, und dem vernünftigen Geschmacke des französischen Tragödientheaters, so viel als möglich ist, ähnlich zu machen, ob man wohl in Italien eine Menge vollkommen schöner Opernpoesieen aufzuweisen hat: da hingegen die Franzosen, in ihren meisten Opern, noch immer an den Fabeln kleben, und an einer Menge unnatürlicher und abentheuerlicher Vorstellungen sich belustigen: so werden doch noch in Italien, sowohl durch manche Poeten, als durch die Componisten und Sänger, große Fehler begangen. Die Poeten verbinden z.E. die Arien nicht allemal mit der <318> Hauptsache: so daß manche Arie, die mit dem Vorigen nicht den gehörigen Zusammenhang hat, nur von ohngefähr eingeschoben zu seyn scheint. Manchmal mag es einigen Dichtern wohl an der Beurtheilung oder an der Empfindung gefehlet haben: zuweilen aber kann es seyn, daß sie dem Componisten zu Gefallen, und nach gewissen Nebenabsichten haben dichten müssen: wenn nämlich die Worte nicht bequem in die Musik zu bringen gewesen sind, woran der Poet Schuld ist, oder wenn etwan der Componist eine Arie schon fertig hat, deren Worte sich nicht an den Ort, wo sie hinkommen soll, schicken, und der Dichter also eine Parodie darüber machen muß, welche freylich nicht allemal zum besten geräth. Bisweilen müssen sich die Dichter nur bemühen, Worte mit solchen Selbstlauten ausfündig zu machen, die sich gut zu Passagien schicken: wodurch denn, wenn die Dichter nicht reich an Veränderung der Gedanken und der Ausdrücke sind, dem Zusammenhange der Sache, und der Schönheit der Poesie, freylich nicht allezeit gerathen wird. Doch wird man wahrnehmen, daß die großen Operndichter, den einzigen Metastasio ausgenommen, gemeiniglich bey Weitem nicht so bequeme Arien zur Musik machen, als die mittelmäßigen. Diese müssen sich dem Componisten wohl bequemen, wenn sie anders fortkommen wollen: jene aber wollen sich, auch öfters nicht einmal in billigen und nothwendigen Stücken, zum Vortheile der Musik, von ihrer vermeynten Höhe herab lassen: ob es gleich gar wohl möglich ist, daß die Poesie und Musik sich mit einander so vereinigen können, daß keine dabey zu kurz komme, wie nur noch erst kürzlich, in einem eigenen deutschen Werke: von der musikalischen Poesie, mit besonderer Gründlichkeit ist gezeiget worden. [Anmerkung]

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