Übersicht Dieser Beitrag ist erstmals erschienen in:
Die Befreiung der Musik. Eine Einführung in die Musik des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von F. X. Ohnesorg. Köln (MusikTriennale/Lübbe) 1994. S. 119-131.

Warum diese Töne?

Skandal und Provokation in der Musik

(6) Epilog

Und heutzutage? Es dürfte deutlich geworden sein, daß die sogenannten Musikskandale mehr über die Befindlichkeit der jeweiligen Zeit aussagen, als über die Qualität der aufgeführten Musik. Zwar werden im Nachhinein immer wieder ästhetische Kriterien herangezogen, um die Empörung zu erklären oder gar zu rechtfertigen - aber für das Phänomen des Skandals, für den Prozeß der Eskalation, sind solche ästhetischen Erklärungsmodelle wenig tauglich. Die "echten" Skandale, die nicht aus der bloßen Freude am Krawall provoziert werden, gründen letztlich auf der Verletzung von gesellschaftlichen Normen, auf der Mißachtung von Gruppeninteressen: Ob der Pariser Jockey-Club sich beim Tannhäuser um den Ballettauftritt gebracht fühlte, ob das Publikum der Bartók-Premiere sich unter dem Wunderbaren Mandarin etwas Unterhaltsameres vorgestellt hatte oder die Studenten des Hamburger SDS den Komponisten Henze als Verräter ihrer Sache sahen, ist dabei unerheblich.

Vielleicht fällt es deswegen so schwer, in unserer Zeit noch einen Kunstskandal zu provozieren, weil der allgemeingültige Normenkanon einem nebulösen Pluralismus gewichen sind. Wo es keine Normen gibt, ist dem Skandal der Boden entzogen. Allenfalls die "Gralshüter" der traditierten Normen, die Kirchen und ähnliche Gruppierungen bringen gelegentlich noch die Energie zum lautstarken Protest auf - aber wogegen? Gott, der den Menschen nackt erschaffen hat, ist an unseren Theatern mittlerweile ein gern gesehener Gast - als Kostümbildner. Und selbst wer heutzutage auf offener Bühne Hühner schlachtet oder den Kadaver einer Hirschkuh zur musikalischen Inszenierung einsetzt, hat allenfalls den Staatsanwalt, aber kaum mehr die Empörung des Publikums zu fürchten ...

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