Koch: Musikalisches Lexikon

Rhythmus.

<1256> Dieses griechische Wort bezeichnet in der Musik nicht allein das Verhältniß der Tonfüße, <1257> aus welchen die verschiedenen Arten des Taktes bestehen sondern auch hauptsächlich das Verhältniß, welches die einzelnen melodischen Theile oder Sätze einer Periode, die aus solchen Tonfüßen verbunden sind, unter einander haben.

Der Rhythmus war ohne Zweifel das erste sinnliche Hülfsmittel, wodurch man in der Kindheit der Musik eine Reihe von Tönen, die an und für sich ohne Bedeutung waren, für das Gefühl unterhaltend machte. Die Menschheit muß schon auf einer noch sehr niedern Stufe der Kultur die Erfahrung gemacht haben, daß eine regelmäßige Wiederkehr in der Bewegung sonst ganz gleichgültige Dinge für das Gefühl etwas anziehendes hat; denn wir finden, daß sich noch sehr rohe Völker durch den Rhythmus, oder durch eine regelmäßige Wiederkehr hervorstechender Accente nicht allein ihre an Verschiedenheit des Tons und an Ausdruck noch äußerst ärmliche Musik unterhaltend machen, sondern daß sie sich des Rhythmus auch bey schweren Arbeiten, z.B. bey dem Rudern und dergleichen Arbeiten bedienen, um die Aufmerksamkeit von der Beschwerlichkeit der Arbeit abzuleiten, und sie mit etwas Regelmäßigem zu beschäftigen, wodurch sie unterhalten wird.

"Den Grad der Unterhaltung," sagt ein bekannter Schriftsteller, [FN: Forkel, Allg. Geschichte der Musik, Einleitung] "den eine solche rhythmische Wiederholung einfacher Töne verschaffen kann, deren Einerley sonst sehr bald ermüden würde, kann man aus dem Gebrauche beurtheilen, den man auch noch in den neuern Zeiten von unsern Trommeln zu machen weiß. Bloß durch die Verschiedenheit der rhythmischen Schläge, erleichtert man nicht allein die Bewegung des Gehens, und bestimmt die Geschwindigkeit oder Langsamkeit der Schritte, sondern erregt auch vielleicht in dem Herzen derjenigen Menschenclasse, für welche diese kriegerische, bloß rhythmische Musik zunächst bestimmt ist, noch überdies manche Empfindung von <1258> Tapferkeit und Muth. - Man kann also die Wirkung des Rhythmus nicht nur als gewiß und unleugbar annehmen, sondern sich auch überzeugen, daß alle halbwilde, halbkultivirte Völker ihre erste Musik, das heißt: ihre einfachen Klänge und ihr Geräusch bloß dadurch, nicht aber durch Modifikationen der Töne an sich, mannigfaltig und unterhaltend gemacht haben. Dieses beweisen vorzüglich ihre Instrumente, ihre Trommeln, Klappern, Rasseln, u.s.f. auf welchen ohne hinzugekommene rhythmische Bewegung und Mannigfaltigkeit, selbst für die allerrohesten Völker nur ein ermüdendes, und eben dadurch unerträgliches Einerley würde hervorgebracht werden können."

Sogar die Griechen legten, noch in dem Zeitraume ihrer höhern Kultur, dem Rhythmus eine große ästhetische Kraft bey, und erkannten ihn für den vorzüglichsten Theil der Musik. Sie hielten demnach die äußere Form musikalischer Sätze für wichtiger als den Inhalt selbst. So wenig in einer ausgebildeten Musik der Rhythmus diesen Vorzug vor dem Inhalte der Gedanken, oder vor dem Ausdrucke, behaupten kann, so ist es dennoch außer Zweifel, daß auch in der Musik, so wie in der Dichtkunst, die Gedanken oder melodischen Theile, die ein gutes rhythmische Verhältniß haben, viel gewinnen, und besonders an Lebhaftigkeit. Soll aber die rhythmische Beschaffenheit der Perioden diese Deutlichkeit und Lebhaftigkeit bewirken, so müssen sich nicht allein die Tonfüße auf leicht fühlbare Verhältnisse gründen, sondern es muß auch das Verhältniß der daraus verbundenen melodischen Theile oder Sätze, die unter sich zu einer Periode verbunden werden, mit Leichtigkeit gefaßt werden können. Daher muß das Verhältniß der verbundenen Glieder oder Takte nicht bald gleich bald ungleich, oder gleichsam durch einander geworfen seyn, denn sobald die verbundene Anzahl der Tonfüße zu vielartig in Ansehung ihrer Verhältnisse <1259> ist, so wird die aus den einzelnen Sätzen verbundene Periode nicht faßlich genug; die Vergleichung ihrer Theile erfordert zu viel Aufmerksamkeit, die das Vergnügen an dem Ganzen mehr verhindert, als dazu beförderlich ist.

Von der Anwendung des Rhythmus, die man in der Musik insbesondere mit dem Ausdrucke Taktordnung bezeichnet, handeln die Artikel Absatz, Einschnitt, Metrum und Taktordnung.

Eine besondere Abhandlung über den Rhythmus und über die Ursachen der Wirkung desselben enthält Sulzers allg. Theorie der schönen Künste unter dem Artikel Rhythmus. Einige Schriften aber, die von der Anwendung desselben oder von der Taktordnung insbesondere handeln, findet man bey den Artikeln Taktordnung, Abschnitt und Periodenbau, angezeigt.

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