Blasmusik Diese Beiträge sind entstanden als Sendemanuskripte für die Deutsche Welle, Köln ("Transkriptionsdienst")

"Die betörende Süße des Klanges" (1695) und die Grausamkeiten Apolls

Vom schlechten Ruf der ersten Blasinstrumente

Geschichte der Blasinstrumente und ihrer Musik - 1. Folge

Sendemanuskript
Musik-Nr.: 01
Komponist: Pierre Francisque Caroubel
Werk-Titel: Terpsichore (1612)
Auswahl: Bransle gay <LP Seite A, Tr. 12.> 0:50
Interpreten: Ohdecaton Ensemble
Label: FSM (LC ____)
63 205 EB
<LP Seite A, Tr. 12.> Gesamt-Zeit: 0:50
Archiv-Nummer: ____

Die Göttin Athene, so erzählt die griechische Mythologie, soll dereinst die Flöte erfunden haben. Als sie dann ihr erstes Konzert vor Zeus und den anderen Göttern gab, brach der gesamte Olymp in Gelächter aus - nicht sosehr der Musik wegen, aber das Flöteblasen verunstaltete ihr Gesicht: Was die Götter so überaus belustigte, waren Athenes aufgeblasene Wangen und ihr hochroter Kopf. Athene warf die Flöte fort und verfluchte jeden, der sie aufheben sollte. Der Unglückliche war der Satyr Marsyas. Marsyas fand die Flöte, übte ein wenig auf dem Instrument blies fortan so virtuos auf dem Instrument, daß Apollon, der Musengott, der selbst die Geige strich, eifersüchtig wurde. So kam es zu jenem berüchtigten Wettstreit zwischen Marsyas und Apoll. Marsyas verlor, denn er konnte nicht, wie Apoll auf seiner Geige, gleichzeitig spielen und dazu singen. Die Strafe für den Verlierer war schrecklich. Apoll zog dem Marsyas bei lebendigem Leib die Haut ab und hing sie an eine Platane.

Auch der gestrenge Philosoph Platon lehnte die Flöte ab - mit dem Argument, daß ihre Musik die Jugend zum Müßiggang und liederlichen Lebenswandel verführe.

Verständlich also, daß Flöten und Schalmeien fortan, bis weit ins Mittelalter, keinen sonderlich guten Ruf besaßen. Nicht nur, daß sie einfacher herzustellen und zu spielen waren als die Streichinstrumente und deswegen als die typischen Instrumente des einfachen Volks, der Hirten und Bauern, galten. Was entscheidender war: Die Blasinstrumente klangen allesamt sehr laut und und durchdringend, so daß sie zur Begleitung von Liedern denkbar ungeeignet waren. Sie wurden vornehmlich dann eingesetzt, wenn es darum ging, Lärm und Aufmerksamkeit zu erzeugen - im Kriegsgetümmel oder beim Tanz, wie etwa in der folgenden Estampie royale, einer königlichen Estampie aus dem 12. Jahrhundert.

Musik-Nr.: 02
Komponist: Anonym
Werk-Titel: La quinte estampie royale
Interpreten: Le musiciens de Provence
Label: Arion (LC ____)
68064
<Track 8.> Gesamt-Zeit: 2:10
Archiv-Nummer: ____
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Dieses Tanzstück aus dem 12. Jahrhundert mit dem Titel La quinte estampie royale (die fünfte königliche Estampie) ist eines der frühesten Instrumentalstücke, die uns aus dem Mittelalter überliefert sind. - Das Mittelalter kannte in der Musik wie in der sozialen Struktur klare Hierarchien: An oberster Stelle stand der Gesang - "zur höheren Ehre Gottes", es folgten die himmlischen Streicherklänge, dann die Blechbläser mit ihren kostbaren, aus Metall gefertigten Instrumenten, und schließlich das, was die Natur dem Menschen geradezu kostenlos anbot: das Schlagwerk und die aus Holz oder Tierhorn geschnitzten verschiedenen Flöten.

Diese Vorstellung unterschiedlicher "Qualitäten" hielt sich bis weit ins 17. Jahrhundert. Claudio Monteverdi etwa eröffnete 1607 seine Oper Orfeo mit einer prachtvollen Fanfare für Trompeten - als repäsentative Huldigung an den Fürsten Francesco Gonzaga, den Herrn von Mantua.

Musik-Nr.: 03
Komponist: Claudio Monteverdi
Werk-Titel: Orfeo
Auswahl: Toccata <CD 1, Tr. 1.> 1:40
Interpreten: John Eliot Gardiner (Leitung)
Label: DG Archiv (LC ____)
419 250
<CD 1, Tr. 1.> Gesamt-Zeit: 1:40
Archiv-Nummer: ____
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Nach dieser herrschaftlichen Einleitung erst beginnt die eigentliche Oper: Orpheus begibt sich in die Unterwelt, um seine geliebte Euridyke zu erlangen. Und wieder bezeichnen die Blasinstrumente den jeweiligen hierarchischen Rang. Die Posaunen, die einstmals den Untergang der Stadt Jericho herbeiführten und die nach christlicher Vorstellung auch beim Jüngsten Gericht blasen werden, stehen für die Unwandelbarkeit der Unterwelt, für den endgültigen Charakter des Totenreichs. Jeder, der diese Pforten des Hades durchschreitet, lasse alle Hoffnung fahren, heißt es in Dantes Göttlicher Komödie.

Musik-Nr.: 04
Komponist: Claudio Monteverdi
Werk-Titel: Orfeo
Auswahl: 3. Akt - Sinfonia <CD 2, Tr. 1.> 1:25
Interpreten: John Eliot Gardiner (Leitung)
Label: DG Archiv (LC ____)
419 250
<CD 2, Tr. 1.> Gesamt-Zeit: 1:25
Archiv-Nummer: ____
Technik: ausblenden bis 1:25
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Und was bleibt angesichts solch übermächtiger Klänge für den Menschen übrig? Für die arkadischen Hirten die Flöten, und für Orpheus, als er den Fährmann Charon um Einlaß in die Unterwelt bittet, neben Geigen und Harfen die Zinken, eine frühe Form des Horns:

Musik-Nr.: 05
Komponist: Claudio Monteverdi
Werk-Titel: Orfeo
Auswahl: 3. Akt - Possente spirto <CD 2, Tr. 3.> 1:50
Interpreten: John Eliot Gardiner (Leitung)
Label: DG Archiv (LC ____)
419 250
<CD 2, Tr. 3.> Gesamt-Zeit: 1:50
Archiv-Nummer: ____
Technik: einblenden bei 1:50
ausblenden bis 3:40
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In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erreichte die Bläsermusik ihren ersten Höhepunkt. Die Instrumente klangen nicht mehr so schrill, neue Spieltechniken wurden entwickelt, und auch die soziale Einbindung der Bläsermusik hatte sich gewandelt. Die großen Handelsstädte und Stadtstaaten in Deutschland und Italien entdeckten den repäsentativen Charakter eines vielstimmigen Bläsersatzes. Allenthalben, von Hamburg bis Neapel, wurden Stadtpfeifer, die sogenannten "piffari" eingestellt, die bei öffentlichen Festen und großen Ratsversammlungen zu blasen hatten.

In vielen Städten war es seit etwa 1550 üblich geworden, daß die Stadtpfeifer vom Turm oder Balkon des Rats-Palastes täglich ein Konzert gaben - wie es in zeitgenössischen Schriften heißt: zur "Gemüts-Ergötzung der Bewohner". In besonders hohen Ansehen standen die Ratsmusiken der italienischen Stadt Bologna, das sogenannte Concerto palatino. Dieses Concerto palatino konnte damals schon auf eine langege Tradtion zurückblicken. Angefangen hatte es mit den städtischen Ausrufer, die mit ihren Fanfaren für Aufmerksamkeit sorgten, wenn es darum ging, neue Gesetze und Verordnungen zu verkünden. In einem Dokument von 1556 wurden sie schließlich verpflichtet,

"des Morgens und Abends auf dem Balkon ein Konzert zu blasen und auch täglich dafür zu üben. An den Hauptfesttagen müssen sie in der Messe spielen und, wenn der Stadtrat die Kirche verläßt, eine achtstimmige Motette. Besondere Aufmerksamkeit sollen sie den ausländischen Gesandten und Botschaftern zukommen lassen."

Hören Sie nun von dem Bologneser Komponisten Ascanio Trombetti, der wegen seiner Kunstfertigkeit auf dem Horn auch "Il cornetto" genannt wurde, die Motette Jubilate Deo für acht Stimmen.

Musik-Nr.: 06
Komponist: Ascanio Trombetti
Werk-Titel: Jubilate deo. Motette zu acht Stimmen
Interpreten: Il concerto palatino:
Bruce Dickey (Cornett)
Doron David Sherwin (Cornett)
William Dongois (Cornett)
Jean Tubery (Cornett)
Charles Toet (Posaune)
Sue Addison (Posaune)
Harry Ries (Posaune)
Wim Becu (Posaune)
Label: Accent (LC ____)
ACC 8861 D
<Track 2.> Gesamt-Zeit: 4:15
Archiv-Nummer: ____
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Während die reinen Bläserbesetzungen um 1600 einen immer größen Glanz entfalteten, setzte gleichzeitig auch eine Entwicklung ein hin zu gemischten Ensembles. Die Musik verlagerte sich von den Straßen und Plätzen in die Säle; der Klang der Streichinstrumente wurde kräftiger, die Blasinstrumente wurden sanfter. Fast zwangsläufig führte dies dazu, daß Streicher und Bläser miteinander in Wettstreit traten, also im wahrsten Sinne des Wortes konzertierten.

Dieses barocke Concerto hat noch nichts mit dem klassischen Solistenkonzert gemein. Nicht "einer gegen alle" ist die Devise, sondern ganze Instrumentengruppen werden hier gegeneinandergesetzt - Instrumentengruppen, die sich klanglich voneinander abheben. In diesem Sinne sind auch die Orchester-Suiten von Johann Sebastian Bach zu verstehen. in seiner vierten Suite in D-Dur setzt Bach ein vollstimmiges Streicher-Ensemble gegen eine Bläsergruppe aus drei Trompeten, drei Oboen und ein Fagott. Und auch hier wird deutlich hörbar, wie schwer es die Streicher haben, sich gegen die Bläser durchzusetzen.

Musik-Nr.: 07
Komponist: Johann Sebastian Bach
Werk-Titel: Orchester-Suite D-Dur BWV 1069
Auswahl: Bourrée
Gavotte
Menuett
Réjouissance
<CD 2, Track 7.>
<CD 2, Track 8.>
<CD 2, Track 9.>
<CD 2, Track 10.>
10:40
Interpreten: Musica antiqua Köln
Ltg.: Reinhard Goebel
Label: DG 415 671-2 (LC ____)
Nummer
<CD 2, Track 7.8.9.10.> Gesamt-Zeit: 10:40
Archiv-Nummer: ____
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