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Czerny: Briefe über den Unterricht ...

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Erster Brief.

Über die Anfangs-Gegenstände auf dem Pianoforte.

<1> Fräulein Cäcilie!

Als ich im verflossenen Jahre das Vergnügen hatte, in Ihrem Hause bekannt zu werden, habe ich bey Ihnen ein so ausgezeichnetes musikalisches Talent entdeckt, dass mich die Nachricht unendlich freute, dass Sie nun die schöne Kunst des Fortepianospiels sich wirklich aneignen wollen. Ihr Gedächtniss behielt leicht jede angenehme Melodie; Sie zeigten natürliches Gefühl für den Takt und für den musikalischen Ausdruck; und überdiess haben Ihre zarten Finger und Hände alle die natürlichen Eigenschaften, welche zum Fortepiano so nothwendig sind: Biegsamkeit, Schnellkraft und Beweglichkeit, ohne weder allzu weich, noch allzu steif zu seyn.

Eine so entschiedene Anlage und Neigung zu dieser schönen Kunst darf in der That nicht unbenützt bleiben, denn es gibt keine, welche edler, und der allgemeinen Bildung entsprechender ist, als die Musik; und überdiess wissen Sie, <2> dass das Fortepianospiel, obwohl für Jedermann passend, doch vorzugsweise für die Fräulein und Damen eine der schönsten und ehrenvollsten Zierden ist. Man kann damit nicht nur sich selbst, sondern auch vielen Andern ein edles und schickliches Vergnügen verschaffen, und bei grossen Fortschritten auch eine Auszeichnung in der Welt erlangen, welche dem Dilettanten gewiss eben so angenehm ist, als dem wirklichen Künstler.

Da ich, wegen der Entfernung Ihres Wohnortes, leider nicht dem Wunsche Ihrer geehrten Eltern entsprechen konnte, Ihren Unterricht unmittelbar zu übernehmen, so verpflichte ich mich mit Vergnügen, Sie von Zeit zu Zeit durch Briefe zu noch grösserem Fleisse anzuspornen, und auch nach meiner Ansicht auf alles aufmerksam zu machen, was Ihren Unterricht erleichtern, und Ihre Fortschritte beschleunigen kann, obwohl von Seiten des würdigen Lehrers, dem Ihre Ausbildung anvertraut worden ist, unstreitig Alles geschehen wird, um Ihr Talent auf eine eben so solide als geschmackvolle Weise auszubilden. Ich bitte Sie daher, Fräulein Cäcilie, alle meine Bemerkungen nur als eine erklärende Wiederhohlung alles dessen anzusehen, was Ihnen ohnehin theils aus der Fortepianoschule, theils mündlich vorgetragen werden wird, und mein Zweck ist völlig erreicht, wenn dadurch Ihr Eifer noch vermehrt, und zugleich die Zeit und <3> Mühe des Lernens abgekürzt und erleichtert wird.

Die ersten Anfangsgründe, nämlich die Kenntniss der Tasten und der Noten, sind in der Musik das Einzige Langweilige und Unangenehme. Wenn Sie dieses einmal überstanden haben, dann werden Sie von Tag zu Tag immer mehr Freude und Unterhaltung am Fortstudieren finden.

Denken Sie sich, liebes Fräulein, die Sache so, als ob Sie sich durch ein etwas dorniges Gebüsch durchwinden müssten, um zu einer herrlichen Aussicht, zu einer stets reitzend blühenden Gegend zu gelangen.

Das beste Mittel gegen diese nothwendige Unannehmlichkeit ist, wenn Sie sich bestreben, alle diese Anfangsgegenstände so schnell als möglich Ihrem Gedächtnisse gut einzuprägen.

Solche Schüler, welche gleich Anfangs Lust und Liebe zur Sache zeigen, und ihr Gedächtniss zweckmässig anstrengen, können sich die Kenntnisse der Tasten und Noten in einigen Wochen vollkommen gut aneignen, während Andere, von der Langweiligkeit abgeschreckt, oft mehrere Monathe dabey verlieren. Was ist daher von Beydem das Beste?

Vor Allem bitte ich Sie angelegentlichst, Fräulein, sich beym Fortepiano eine schöne, anständige und zweckmässige Haltung anzugewöhnen. Der Sessel, dessen Sie sich dabey bedienen, <4> muss genau so hoch seyn, dass Ihre frey herabhängenden Elbogen etwas weniges höher seyen, als die Oberfläche der Tasten, und sollten dabey Ihre Füsschen den Boden noch nicht erreichen, so lassen Sie sich für dieselben einen angemessenen Schemel machen. Sie müssen stets genau in der Mitte vor der Tastatur, und von derselben so weit entfernt sitzen, dass die Spitzen der Elbogen um etwas weniges den Tasten näher seyn als die Achseln.

Eben so nothwendig ist eine schöne, weder allzu steife, noch gebückte Haltung des Kopfs und des Oberleibs, und viele meiner ehmaligen Schülerinnen, welche ich oft mit dem Vorwurf ärgerte, dass sie so gerne einen Katzenbuckel machten, (das heisst, gebückt und schief sassen), haben mir später für die Strenge gedankt, welche ich in diesem Punkte bewies.

Denn nicht allein, dass eine üble Haltung hässlich und lächerlich aussieht, so stört sie auch die Entwicklung des freyen und schönen Spiels.

Der Vorderarm, (vom Elbogen bis zu den Fingern,) muss eine ganz gerade horizontale Linie bilden; denn die Handgelenke dürfen weder einen Hügel aufwärts, noch eine Biegung abwärts machen. Die Finger werden dergestalt gebogen, dass deren Spitzen mit dem ausgestreckten Daumen eine Linie bilden, und die Tasten werden stets mit der weichen Fingerspitze <5> angeschlagen, so dass weder der Nagel, noch die ausgestreckte Fläche des Fingers die Taste berühren darf. Beym Anschlag der Obertasten müssen die Finger allerdings ein klein wenig mehr ausgestreckt werden, jedoch müssen sie auch da stets hinreichend gebogen bleiben. Der Anschlag auf die Tasten geschieht nur mit den Fingern, welche jede Taste ohne Schlag, aber fest, herabdrücken, ohne dass die Hand, oder gar der Arm, dabey eine unnöthige Bewegung mache. Der Daumen schlägt die Taste stets mit seiner äussern schmalen Fläche an, und wird dabey nur sehr wenig eingebogen. Die Untertasten werden in der Mitte ihrer vordern breiten Fläche, und die Obertasten ziemlich nahe an ihrer Spitze angeschlagen. Sie müssen recht wohl Acht geben, Fräulein, dass Sie keine Taste schief oder seitwärts anschlagen, weil sonst leicht eine falsche Nebentaste berührt werden kann; und in der Musik gibt es nichts Schlimmeres, als das Falschgreifen.

Während ein Finger anschlägt, müssen die andern Finger zwar nahe an den Tasten, aber frey in der Luft, obwohl stets gebogen, gehalten werden; denn man darf keine Taste eher berühren als in dem Augenblicke ihres Anschlags. Der wichtigste Finger ist der Daumen, und er darf niemahls ausserhalb der Tastatur herabhängen, sondern er muss stets über den Tasten dergestalt gehalten werden, dass seine Spitze ein <6> klein wenig über den vordern Untertasten schwebe, und eben so anschlage.

Um alle diese Regeln genau beobachten zu können, ist es nothwendig, dass der Elbogen sich niemals von dem Körper entferne, und dass der Arm, von der Achsel abwärts, frey herabhänge, ohne sich an den Körper anzudrücken.

Die Nothwendigkeit aller dieser Regeln werden sie erst später gehörig einsehen.

Die Kenntniss der Noten ist eine blosse Gedächtnisssache, und Sie müssen sich bestreben, zu jeder Note sogleich, ohne die geringste Zögerung, die gehörige Taste aufzufinden und anzuschlagen. Hierin besteht das, was man in der Musik das Notenlesen nennt, und mit dieser Fertigkeit hat man auch das Schwierigste überstanden, was die musikalischen Elementargegenstände darbiethen.

Natürlicherweise werden Sie in der ersten Zeit nur die Noten des Violinschlüssels kennen lernen, und hiezu gibt es folgende Mittel:

  1. Indem Sie eine Note ansehen, müssen Sie selbe laut benennen, und hierauf die dazu gehörige Taste aufsuchen und anschlagen.
  2. Indem Sie willkührlich eine Untertaste (im Violin) anschlagen, laut benennen, und hierauf die dazu gehörige Note aufsuchen.
  3. Indem Sie, nach dem Anschlage einer beliebigen Untertaste, mit Worten laut beschreiben, <7> auf welcher Linie, oder zwischen welcher Linie die dazu gehörige Note geschrieben werden muss.
  4. Indem Sie die leichtesten Anfangsstückchen recht oft, und recht aufmerksam durchspielen und sich dabey in Gedanken jede Note benennen.
  5. Endlich, möchte ich Ihnen, Fräulein, noch Folgendes anrathen:
    Da Sie bereits, wie es auch einem Fräulein von Bildung zukommt, des Schreibens so mächtig sind, so sollten Sie Notenschreiben lernen. Die kleine Mühe, die Ihnen dieses verursachen wird, werden Sie durch einen grossen Nutzen belohnt sehen. Noten sind weit leichter zu schreiben als Buchstaben; und wenn Sie täglich nur eine kleine Viertelstunde dieser Arbeit widmen, so sind Sie in 2 Wochen darin hinreichend geübt.

Ihr Lehrer wird Ihnen hiezu alle Anweisung geben; und nachdem Sie sich angewöhnt haben werden, jede Note genau auf, oder zwischen die Linie zu setzen, welche ihr zukommt, schreiben Sie sich täglich Eins der leichten Anfängerstückchen ab, und setzen mit Buchstaben über jede Note die ihr zukommende Benennung, worauf Sie das Stückchen langsam durchspielen.

Wenn Sie auf diese Art alle Noten des Violinschlüssels gut kennen gelernt haben, und auch alle die Stückchen, welche für beyde Hände im <8> Violinschlüssel geschrieben sind, langsam, aber richtig mit beyden Händen zu spielen im Stande sind, dann nehmen Sie die Bassnoten vor, und verfahren dabei genau eben so.

Jedes Stückchen müssen Sie (mit strenger Beobachtung der dabei vorgezeichneten Fingersetzung) so oft spielen, bis es ohne Stottern vorgetragen werden kann. Aber täglich müssen Sie dabey auch ein paar neue Stückchen durchlesen, um das Auge, und die Finger an die verschiedenen und immer neuen Figuren anzugewöhnen, welche von den Noten gebildet werden.

Anfangs muss nach jeder Note auch die Taste angesehen werden, welche man zu greifen hat. Aber später, nach erlangter Sicherheit im Greifen, ist es besser, den Blick mehr auf die Noten, als auf die Tasten zu heften.

Und nun mein Fräulein, erlauben Sie mir in diesem Briefchen noch die letzte, sehr wichtige Anmerkung:

Die beste Kenntniss der Noten nützt sehr wenig, wenn nicht zu gleicher Zeit auch die Finger anfangen, die höchst nöthige Gelenkigkeit zu entwickeln, welche zum Anschlage der Tasten und zum Spielen überhaupt erfordert wird. Daher empfehle ich Ihnen angelegentlichst, alle die Uebungen für 5 Finger in beyden Händen, welche Sie gleich Anfangs in der Schule finden, und welche Ihnen Ihr Lehrer zeigen wird, mit beharrlichem Fleisse und mit der grössten Aufmerksamkeit <9> täglich zu üben, damit Ihre kleinen, zarten, aber doch schon genug kräftigen Finger recht bald jene Biegsamkeit, Geläufigkeit und Unabhängigkeit erlangen, die zum Spiele durchaus nothwendig sind. Achten Sie nicht die kleine Mühe und Anstrengung, welche dazu gehört; trachten Sie täglich drey- oder viermahl, (jedesmahl wenigstens eine Viertelstunde) diese Uebungen aufmerksam durchzuspielen. Mit steifen, ungelenken Fingern kann man eben so wenig gut Fortepiano spielen, als man mit steifen Füssen gut tanzen kann. Die Geläufigkeit ist eine der Hauptbedingungen des Clavierspiels.

Es ist sehr gut, dass Ihr Lehrer Ihnen jetzt jeden Tag eine Stunde gibt. Wenn Sie ausserdem noch eine Stunde, (oder wo möglich, zwey an jedem Tage) dem Alleinüben widmen, so haben Sie in einigen Monathen alle schwierigen und langweiligen Anfangsgegenstände für immer überwunden, und dann werden Sie jeden Tag das Vergnügen wachsen sehen, welches die schöne Tonkunst so reichlich gewährt.

Und nun, Fräulein Cäcilie, leben Sie recht wohl, und erfreuen Sie bald mit der Nachricht von Ihren Fortschritten

Ihren ergebensten etc. etc.

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