L. Mozart, Violinschule Startseite

Mozart, L.: Violinschule

Erstes Hauptstück.

Des ersten Hauptstücks erster Abschnitt.

Von den alten und neuen musikalischen Buchstaben und Noten, wie auch von den itzt gewöhnlichen Linien, und Musikschlüsseln. [§. 1-13]

<20> [Dieser Abschnitt ist noch nicht erfaßt.]

Des ersten Hauptstücks zweyter Abschnitt.
Von dem Tacte, oder musikalischen Zeitmaase. [§. 1-12]

<27> §. 1. Der Tact macht die Melodie: folglich ist er die Seele der Musik. Er belebt nicht nur dieselbe, sondern er erhält auch alle Glieder derselben in ihrer Ordnung. [...] Es ist also an dem musikalischen Zeitmaase alles gelegen: und der Lehrmeister hat seine größte Mühe und Geduld dahin anzuwenden, daß der Schüler solches mit Fleiß und Obachtsamkeit rechtschaffen ergreife.

§. 2. Der Tact wird durch das Aufheben und Niederschlagen der Hand angezeiget; nach welcher Bewegung alle zugleich singende und spielende Personen sich zu richten haben. Und gelich wie die Mediciner die Bewegung der Pulsadern mit dem Name Systole und Diastole benennen [Fußnote: ...]: also heißt man in der Musik das Niederschlagen Thesin dasaufheben der Hand aber Arsin [Fußnote: ...]

§. 3. Bey der alten Musik hatte man unterschiedliche Meinungen: und es war alles in grosser Verwirrung. Man bemerkte den Tact durch ganze Cirkel und halbe <28> Cirkel, die theils durchgeschnitten theils umgewendet, theils aber bald von innen bald von aussen durch einen Punct unterschieden waren. Da nun aber solches schimmlichtes Zeug hieher zu schmieren gar zu nichts mehr dienlich ist: so werden die Liebhaber an die alten Schriften selbst angewiesen. [Fußnote: ...]

[...]

<29> §. 6. Der Allabreve ist eine Abkürzung des geraden Tactes. er hat nur zween Theile, und ist nichts anders, als der in zween Theile gebrachte Vierviertheiltact: daß folglich zwey Viertheile auf eins zu stehen kommen. das Zeichen des Allabreve ist der durchgestrichene C Buchstabe. Man pflegt in diesem Tacte nur wenige Auszierungen anzubringen [Fußnote]

<30> §. 7. Dieß ist aber nur die gewöhnliche mathematische Eintheilung des Tacts, welches wir eigentlich das Zeitmaas und den Tactschlag nennen [Fußnote: ...]. Nun kommt es noch auf eine Hauptsache an: nämlich, auf die Art der Bewegung. Man muß nicht nur den Tact richtig und gleich schlagen können: sondern man muß auch aus dem Stücke selbst zu errathen wissen, ob eine langsame oder eine etwas geschwindere Bewegung erheische. Man setzet zwar vor iedes Stück eignes dazu bestimmte Wörter, als da sind: Allegro, lustig; Adagio, langsam, u.s.f. Allein das Langsame sowohl als das Geschwinde und Lustige hat seine Stuffen. Und wenn auch gleich der Componist die Art der Bewegung durch Beyfügung noch anderer Beywörter und Nebenwörter deutlicher zu erklären bemühet ist: so kann er doch unmöglich jene Art auf das genaueste bestimmen, die er bey dem Vortrage des Stückes ausgedrücket wissen will. Man muß es also aus dem Stücke selbst herleiten: Und hieraus erkennet man unfehlbar die wahre Stärke eines Musikverständigen. Jedes melodische Stück hat wenigstens einen Satz, aus welchem man die Art der Bewegung, die das Stück erheischet, ganz sicher erkennen kann. Ja oft treibt es mit Gewalt in seine natürliche Bewegung; wenn man anders mit genauer Achtsamkeit darauf siehet. Man merke dieses, und wisse aber auch, daß zu dieser Erkenntnis eine lange Erfahrung, und eine gute Beutheilungskraft erforderet werde. Wer wird mir also widersprechen, wenn ich er unter die ersten Vollkommenheiten der Tonkunst zähle?

§. 8. [...]

<31> §. 9. Die Anfänger werden auch nicht wenig verderbet, wenn man sie an das beständige Abzählen der Achttheilnoten gewöhnet. Wie ist es möglich, daß ein Schüler, dem sein Meister mit solchen Irrlehren bange macht, in einem nur etwas geschwindern Zeitmaase fortkomme, wenn er iede Achttheilnote abzählet? Ja was noch ärger! wenn er alle Viertheilnoten und so gar auch die halben Noten in einfache Fusellen [Achtelnoten] in der Stelle abtheilet [...] und auch (wie ich es selbst gehört habe) mit lauter Stimme herzählet, oder gar mit dem Fusse so viele Schläge niederstößt? Man will sich zwar entschuldigen, daß diese Art zu unterweisen nur aus Noth heraus ergriffen werde: um einen Anfänger eher zu einer gleichen Eintheilung des Tactes zu bringen. Allein dergleichen Gewohnheiten bleiben; und der Schüler verläßt sich darauf und kommt endlich dahin, daß er ohne diese Abzählung keinen Tact richtig wegspielen kann. [FN: ...] Man muß ihm also erst die Viertheile recht beyzubringen suchen, und alsdann die Unterweisung dahin einrichten, daß der Anfänger iedes Viertheil mit genauer Gleichheit in Achttheile, die Achttheile in Sechzehntheile usf. verändern kann. In dem folgenden Hauptstücke wird es durch Beyspiele klärer vor Augen gestellet werden.

<32> §. 10. Manchesmal verstehet zwar der Lehrling die Eintheilung; es ist aber mit der Gleichheit des Tactes nicht richtig. Man sehe hierbey auf das Temperament des Schülers; sonst wird er auf seine Lebenstage verdorben. Ein fröhlicher, lustiger, hitziger Mensch wird allezeit mehr eilen; ein trauriger, fauler, und kaltsinniger hingegen wird immer zögern. Läßt man einen Menschen der viel Feuer und Geist hat gleich geschwinde Stücke abspielen, bevor er die Langsamen genau nach dem Tacte vorzutragen weis; so wird ihm das Eilen lebenslänglich anhangen. Legt man hingegen einem frostigen und schwermüthigen Maulhänger nichts als langsame Stücke vor; so wird er allezeit ein Spieler ohne Geist, ein schläfriger und betrübter Spieler bleiben. Man kann demnach solchen Fehlern, die von dem Temperamente herrühren, durch eine vernünftige Unterweisung entgegen stehen. Den Hitzigen kann man mit langsamen Stücken zurück halten und seinen Geist nach und nach dadurch mäßigen: den langsamen und schläfrigen Spieler aber, kann man mit fröhlichen Stücken ermuntern, und endlich mit der Zeit aus einem Halbtoden einen Lebendigen machen.

§. 11. Ueberhaupts soll man einem Anfänger nichts Hartes vorlegen, bevor er nicht das Leichte rein wegspielen kann. Man soll ihm ferner keine Menueten oder andere melodiöse Stücke geben, die ihm leicht in dem Gedächtnisse bleiben: sondern man lasse ihn anfangs Mittelstimmen von Concerten, wo Pausen darinn sind, oder auch fugirte und mit einem Wort solche Stücke vor sich nehmen, die er mit genauer Beobachtung alles dessen, was ihm zu wissen nothwendig ist, abspielen und folglich zu Tage legen muß, ob er die ihm vorgetragene Regeln verstehe oder nicht. Widrigenfalls wird er sichs angewöhnen, alles nach dem Gehör auf Gerathe wohl abzuspielen.

§. 12. Der Schüler muß sich sonderbar [insbesondere] befleissen alles was er spielt in dem nämlichen Tempo zu enden, in welchem er es angefangen hat. Er beugt dadurch jenem gemeinen [weitverbreiteten] Fehler vor, den man bey vielen Musiken [Aufführungen] beobachtet, deren Ende viel geschwinder als der Anfang ist. Er muß sich also gleich anfangs in eine gewisse vernünftige Gelassenheit setzen; und besonders wenn er schwerere Stücke zur Hand nimmt, muß er dieselben nicht geschwinder anfangen, als er sich getrauet die darinn vorkommenden stärkern Passagen richtig wegzuspielen. Er muß die schweren Passagen öfters und besonders üben; bis er endlich eine Fertigkeit erhält das ganze Stück in einem rechten und gleichen Tempo hinauszubringen.

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Des ersten Hauptstücks dritter Abschnitt.
Von der Dauer oder Geltung der Noten, Pausen und Puncten; sammt einer Erklärung aller musikalischen Zeichen und Kunstwörter. [§. 1-27]

<33> §. 1. [...]

§. 2. Die Pause ist ein Zeichen des Stillschweigens. Es sind drey Ursachen, warum die Pause als eine nothwendige Sache in der Musik erfunden worden. erstens, zur Bequemlichkeit der Sänger und Blasinstrumentisten, um ihnen Zeit zu lassen etwas auszuruhen und Athem zu holen. Zweytens, aus Nothwendigkeit: weil die Wörter in den Singstücken ihren Absatz erfordern [...]. Drittens, aus Zierlichkeit. Denn gleichwie ein beständiges Anhalten aller Stimmen den Singenden, Spielenden und Zuhörenden, nichts als Verdruß verursachet: also erwecket eine liebliche Abwechslung vieler Stimmen, und derselben endliche Vereinigung und Zusammenstimmung ein vieles Vergnügen [Fußnote: ...].

[...]

<39> §. 9. In langsamen Stücken, wird der Punct anfangs mit dem [Geigen-]Bogen durch einen Nachdruck vernehmlich gemacht: um sicherer im Tacte zu bleiben. Wenn man sich aber im Tacte schon feste gesetzet hat; so wird der Punct durch eine sich verliehrende Stille an die Note gehalten und niemals durch einen Nachdruck unterschieden. Z.E. [Zum Exemplum = zum Beispiel]

§. 10. In geschwinden Stücken wird der Geigebogen bey jedem Puncte aufgehoben; folglich jede Note von der andern abgesöndert und springend vorgetragen. Z.E.

§. 11. Es giebt in langsamen Stücken gewisse Passagen, wo der Punct noch etwas länger gehalten werden muß, als die bereits vorgeschriebene Regel erfodert: wenn anders der Vortrag nicht zu schläfrig ausfallen soll. Z.E. wenn hier

der Punct in seiner gewöhnlichen Länge gehalten würde, würde es einmal zu faul und recht schläferig klingen. In solchem Falle nun muß man die punctirte Note etwas länger aushalten; die Zeit des längern Aushaltens aber muß man der nach dem Puncte folgenden Note, so zu reden, abstehlen. [...] Der Punct soll überhaupt allezeit etwas länger gehalten werden. Denn nicht nur wird dadurch der Vortrag lebhafter; sondern es wird auch dem Eilen, jenem fast allgemeinen Fehler, Einhalt gethan; da hingegen durch das wenige Aushalten des Punctes die Musik gar leicht in das Geschwinde verfällt. [...]

[...]

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Musikalische Kunstwörter.[Fußnote]

<49> Prestissimo, [...] zeiget das geschwindeste Tempo an, und ist Presto assai fast eben dieß. Zu diesem sehr geschwinden Zeitmaase wird ein leichter und etwas kurzer Bogenstrich erfordert.

Presto, heißt geschwind, und das Allegro assai ist wenig davon unterschieden.

Molto Allegro, [...] ist etwas weniger als Allegro assai, doch es ist geschwinder als

Allegro, [...] welches zwar ein lustiges, doch ein nicht übereiltes Tempo anzeiget; sonderbar wenn es durch Beywörter und Nebenwörter gemässiget wird, als da sind:

Allegro, ma non tanto oder non troppo, oder moderato, [...] welches eben sagen will, daß man es nicht übertreiben solle. Hierzu wird ein zwar leichter und lebhafter, jedoch schon mehr ernsthafter und nimmer so kurzer Strich erfordert als bey dem geschwindesten Tempo.

Allegretto, [...] ist etwas langsamer als Allegro, [...] hat gemeiniglich etwas angenehmes, etwas artiges und scherzhaftes, und vieles mit dem Andante [...] gemein. Es muß also artig, tändelend, und scherzhaft vorgetragen werden: welches artige und scherzhafte man sowohl bey diesem als bey anderem Tempo durch das Wort Gustoso [...] deutlicher zu erkennen giebt.

Vivace [...] heißt lebhaft, und Spiritoso [...] will sagen, daß man mit Verstand und Geist spielen solle, und Animoso [...] ist fast eben dieß. Alle drey Gattungen sind das mittel zwischen dem Geschwinden und Langsamen, welches uns das musikalische Stück, bey dem diese Wörter stehen, selbst mehrers zeigen muß.

<50> Moderato, gemäßiget, [...] bescheiden: nicht zu geschwind und nicht zu langsam. Eben dieß weiset uns an das Stück selbst, aus dessen Fortgang wir die Mäßigung erkennen müssen.

Das Tempo Commodo, und Tempo giusto, [...] führen uns ebenfalls auf das Stück selbst zurück. Sie sagen uns daß wir das Stück weder zu geschwind weder zu langsam, sondern in dem eigentlichen, gelegenen und natürlichen Tempo spielen sollen. Wir müssen also den wahren Gang eines solchen Stückes in dem Stücke selbst suchen [...].

Sostenuto [...] heißt aushalten, oder vielmehr zurückhalten und den Gesang nicht übertreiben. Man muß sich also in solchem Falle eines ernsthaften, langen und anhaltenden Bogenstrichs bedienen, und den Gesang wohl aneinander hängen.

Maestoso, [...] mit Majestät, bedachtsam, nicht übereilet.

Stoccato oder Staccato, [...] gestossen, zeigt an, daß man die Noten wohl von einander absondern und mit einem kurzen Bogenstriche ohne Ziehen vortragen solle.

Andante, [...] gehend. Dieß Wort sagt uns schon selbst, daß man dem Stücke seinen natürlichen Gang lassen müsse; sonderheitlich wenn ma un poco Allegretto, [...] dabey stehet.

Grave, [...] schwermütig und ernsthaft, folglich recht sehr langsam. Man muß auch in der That durch einen langen, etwas schweren und ernsthaften Bogenstrich, und durch das beständige Anhalten und Unterhalten der einander abwechselnden Töne den Charakter eines Stückes ausdrücken, welchem das Wort Grave, [...] vorgesetzt ist.

<51> Zu den langsamen Stücken werden auch noch andere Wörter den itzt erklärten beygefüget, um die Meinung des Componisten noch mehr an Tag zu legen; als da sind:

Cantabile, Singbar. [...] Das ist: Man solle sich eines singbaren Vortrages befleissigen; man soll natürlich, nicht zu viel gekünstlet und also spielen, daß man mit dem Instrumente, so viel es immer möglich ist, die Singkunst nachahme. Und dies ist das schönste in der Musik. [Fußnote]

Arioso, [...] gleich einer Arie. Es will eben das sagen, was Cantabile saget.

Amabile, Dolce, Soave, [...] verlangen alle einen angenehmen, süssen, lieblichen und gelinden Vortrag: wobey man die Stimme mäßigen, und nicht mit dem Bogen reissen; sondern mit gelinder Abwechselung des Schwachen und Halbstarken dem Stücke die gehörige Zierde geben muß.

Mesto, [...] betrübt. Dies Wort erinnert uns, daß wir uns bey Abspielung des Stückes in den Affect der Betrübniß setzen sollen, um die Traurigkeit, welche der Componist in dem Stücke auszudrücken sucht, bey den Zuhörern zu erregen.

Affettuoso, [...] mit Affect, will, daß wir den Affect, der in dem Stücke stecket, aufsuchen, und folglich alles beweglich, eindringend und rührend abspielen sollen.

[...]

<53> Aus allen den itzt erklärten Kunstwörtern siehet man Sonnenklar, daß alle Bemühung dahin gehet, den Spielenden in denjenigen Affect zu setzen, welcher in dem Stücke selbst herrschet: um hierdurch in die Gemüther der Zuhörer zu dringen und ihre Leidenschaften zu erregen. Man muß also, bevor man zu spielen anfängt, sich wohl um alles umsehen, was immer zu dem vernünftigen und richtigen Vortrage eines wohlgesetzten musikalischen Stückes nothwendig ist.

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