L. Mozart, Violinschule Startseite

Mozart, L.: Violinschule

Das neunte Hauptstück.

Von den Vorschlägen, und einigen dahin gehörigen Auszierungen. [§. 1-30]

[Die Kapitel 7 und 8 sind noch nicht erfaßt.]

[Der lange Vorschlag (absteigend) - §. 1-8]

<194> §. 1. Die Vorschläge sind kleine Nötchen, die zwischen den gewöhnlichen Noten stehen, aber nicht zum Tacte gerechnet werden. Sie sind von der Natur selbst dazu bestimmet die Töne miteinander zu verbinden, und eine Melodie dadurch singbarer zu machen. Ich sage: von der Natur selbst. Denn es ist unlaugbar, daß auch ein Bauer sein Bauernlied etwa also mit Vorschlägen schliesset:

da es doch im Grunde nur so heißt:

Die Natur selbst reißt ihn mit Gewalt dahin. Gleichwie oft der einfältigste Bauer in Figuren und Schlüssen redet, ohne es selbst zu wissen. Die Vorschläge sind bald Dissonanten [Fußnote: ...]; bald sind sie eine Wiederholung der vorigen Note; bald eine Auszierung einer leeren Melodie, und eine Belebung eines schläfrigen Satzes; und endlich sind sie dasjenige, was den Vortrag zusammen hänget.

Es ist demnach eine Regel ohne Ausnahme: Man trenne den Vorschlag niemal von seiner Hauptnote, und nehme sie allezeit an einem Bogenstriche. <195> Daß aber die nachfolgende, und nicht die vorausstehende Note zu dem Vorschlage gehöre, wird man wohl aus dem Worte, Vorschlag, schon selbst abnehmen.

§. 2. Es giebt absteigende und aufsteigende Vorschläge, die aber beyde auch in anschlagende und durchgehende getheilet werden. Die absteigenden Vorschläge sind die natürlichsten, weil sie die wahre Natur eines Vorschlags nach den richtigsten Compositionsregeln haben. Z.E. [Zum Exemplum = zum Beispiel]

§. 3. Die absteigenden Vorschlage sind aber auch zweyerley: nämlich die langen und die kurzen. Die langen sind wieder zwo Gattungen, davon eine länger als die andere ist. Wenn der Vorschlag vor einer Viertheilnote, Achtheilnote oder Sechzehnteilnote stehet, so ist er schon ein langer Vorschlag; er gilt aber nur den halben Theil der Note, die nachkömmt Man hält also den Vorschlg die Zeit, so der halbe Theil der Note beträgt; nachdem aber schleift man die Note ganz gelind daran. Was die Note verliert bekömmt der Vorschlag. Hier sind Beyspiele:


<196> Man könnte freilich alle die absteigenden Vorschläge in grosse Noten setzen und in den Takt austheilen. Allein wenn ein Spieler darüber kömmt, der nicht kennet, daß es ausgeschriebene Vorschläge sind, oder der alle Noten zu verkräuseln schon gewohnet hat, wie sieht es alsdann sowohl um die Melodie als Harmonie aus? Ich wette darauf ein solcher schenket noch einen langen Vorschlag dazu und spielt es also:

welches doch nimmer natürlich, sondern schon übertrieben und verwirret läßt.

§. 4. Die zwote Art der langen Vorschläge, die man die längern Vorschläge nennen mag, findet man erstlich bey punctierten Noten; zweytens, bey halben Noten, wenn sie im 3/4-Tacte gleich Anfangs stehen, oder wenn im Zweyviertheil oder Vierviertheiltacte nur eine oder höchstens zwo vorkommen, davon eine mit dem langen Vorschlage bemerket ist. In diesen Fällen wird der Vorschlag länger gehalten. Bey punctierten Noten hält man den Vorschlag so lang, als die Zeit der Note austrägt; anstatt des Puncts hingegen <197> nimmt man erst den Ton der Note, doch so, als wenn ein Punct dabey stünde: denn man erhebt den Bogen, und spielt die letzte Note so spät, daß durch eine geschwinde Abänderung des Strichs die darauf kommende Note gleich daran gehöret wird. Z.E.

Wenn man aber eine halbe Note bey den oben angemerkten zween Zufällen, mit dem Vorschlage abspielen will: so bekömmt der Vorschlag drey Theile der halben Note, und bey dem vierten Theile nimmt man erst den Ton der halben Note. Z.E.

[...]

<200> §. 8. Vor allem muß [...] die Stärke des Tones bey den langen und längern Vorschlägen allezeit auf den Vorschlag; die Schwäche aber auf die Note fallen. Es muß aber mit einer angenehmen Mässigung des Bogenstriches geschehen. Auch die Stärke muß eine Schwäche vor sich haben [...]

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[Der kurze Vorschlag - §. 9]

§. 9. Nun giebt es auch kurze Vorschläge, bey denen aber die Stärke nicht auf dem Vorschlag, sondern auf die Hauptnote fällt. Der kurze Vorschlag wird so geschwind gemacht, als es möglich ist, und wird nicht stark, sondern schwach angegriffen. Man braucht diesen kurzen Vorschlag, <201> [...] wenn in einem Allegro, oder andern scherzhaften Tempo etwelche Noten Stuffenweise, oder auch Terzweise nacheinander absteigen, deren iede einen Vorschlag vor sich hat; in welchem Falle man den Vorschlag schnell wegspielet, um dem Stücke durch das lange Aushalten der Vorschläge die Lebhaftigkeit nicht zu benehmen. Hier folgen die Beyspiele, wo der Vortrag mit langen Vorschlägen viel zu schläferig klingen würde.

Bey diesen Septbindungen sollte man zwar allezeit erst bey der Achttheilnote (*) von dem Vorschlage in die Hauptnote einfallen [...], allein wenn eine zwote Stimme dabey ist, gefällt es mir gar nicht. Denn, erstlich, fällt die Septime erst mit der Grundnote ein, und hat ihre rechte Vorbereitung nicht; obwohl etwa einer sagen möchte: das Gehör werde durch das Semitonium <202> des Vorschlags betrogen, und durch diesen Aufenthalt, als eine zierliche Suspension, dennoch schon vergnüget. Zweytens fallen die Töne im ersten halben Theile des Tactes so widrig zusammen, daß, wenn wenn es nicht recht geschwind weggespielet wird, die Dissonanze dem Gehör unerträglich ist. [...]

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[Die aufsteigenden Vorschläge - §. 10-15]

§. 10. Die aufsteigenden Vorschläge sind überhaupts nicht so natürlich, als die absteigenden; sonderheitlich die, welche aus den nächsten, und zwar aus einem ganzen Tone herfliessen: weil sie meistens Dissonanten sind. Wer weis aber nicht, daß die Dissonanten nicht aufwärts, sondern abwärts müssen gelöset werden? [Fußnote: ...] Man handelt demnach sehr vernünftig, wenn man einige Zwischennötchen dazu spielt, die durch die richtige Auflösung der Dissonanten das Gehör vergnügen, und sowohl die Melodie als die Harmonie bessern. Z.E.

<203> Auf diese Weise fällt die Stärke auf die erste Note des Vorschlags, und die zwo kleinen Nötchen sammt der darauf folgenden Hauptnote werden gelind daran geschleifet, wie es schon §. 8. ist gelehret worden.

§. 11. Man pflegt auch den aufsteigend Vorschlag mit zwo Noten von der Terze zu machen und an die Hauptnote anzuschleifen, wenn auch gleich dem Ansehen nach der Vorschlag aus dem Nebentone herfliessen sollte. Diesen Vorschlag mit zwoen Noten heißt man den Schleifer. Z.E.

Der Schleifer wird aber meistens zwischen zwo entfernte Noten angebracht.

Die erste und punctierte Note wird stärker angegriffen und lange ausgehalten, die zwote abgekürzte aber in der möglichen Kürze mit der Hauptnote stille daran geschleifet. Man machet den Schleifer aber auch mit gleichen Noten, wie wir im Beyspiele (3) sehen. Doch fällt auch hier die Stärke auf die erste der zwo Vorschlagnoten.

[...]

<205> §. 14. [...]

<206> Denn die Vorschläge sind nicht erdacht worden, um eine Verwirrung und Härte des Vortrags anzurichten; sie sollen ihn vielmehr ordentlich zusammen verbinden und eben dadurch gelind, singbarer und dem Gehör angenehmer machen.

§. 15. [...]

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[Sonstige Vorschläge - § 16-21]

<207> §. 16. [...] Nun kommen wir auf die durchgehenden Vorschläge, Zwischenschläge und andere dergleichen Auszierungen, bey denen die Stärke auf die Hauptnote fällt, und die selten oder gar nicht von den Componisten angezeiget werden. Sie sind also solche Auszierungen, die der Violinist nach seiner eigenen gesunden Beurtheilungskraft am rechten Orte muß wissen anzubringen.

§. 17. Die ersten sind die durchgehenden Vorschläge. Diese Vorschläge gehören nicht in die Zeit ihrer Hauptnote, in welche sie abfallen, sondern sie müssen in die Zeit der vorhergehenden Note gespielet werden. Man könnte freylich den Vortrag durch kleine Nötchen bestimmen; allein, es würde etwas sehr neues und ungewöhntes seyn. Der es ausdrücken will, setzet es schon in richtig eingetheilten Noten hin. Man pflegt diese durchgehende Vorschläge bey einer Reihe Noten anzubringen, die eine Terze von einander abstehen. <208>

Die Sechzehntheilnote wird ganz gelind und still ergriffen, und die Stärke fällt allemal auf die Achttheilnote.

[...]

<210> §. 21. Es liegt klar zu Tage, daß ein Violinist wohl muß zu unterscheiden wissen, ob, und was für eine Auszierung der Componist schon ausgesetzet hat? und ob er noch eine, oder was für eine Auszierung er noch anbringen kann? [...] Es heißt z.E. <211>

Hier können iene ungeschickte Spieler, die alle Noten verkräuseln wollen, die Ursache einsehen, warum ein vernünftiger Componist sich ereifert, wenn man ihm die schon ausgesetzten Noten nicht platt wegspielet. In dem gegenwärtigen Beyspiele sind die absteigenden Vorschläge schon niedergeschrieben und in den Tact eingetheilet. Sie sind Dissonanten die sich schön und ordentlich auflösen [...]. Wer greift es nun nicht mit Händen, daß es sehr elend läßt, wenn man das natürliche mit noch einem langen Vorschlage verderbet? wenn man den Dissonanten, der vorher schon regelmässig vorbereitet ist, ausläßt, und eine andere ungereimte Note dafür ergreift? ja wenn man die Stärke des Tones auf den unnöthig dazu kommenden Vorschlag wirft, den dissonanten aber sammt der Auflösung erst still daran schleifet; da doch der Dissonant stark klingen, und sich bey der Auflösung nach und nach erst verlieren solle? [...]

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[Nachschläge]

[...]

<218> §. 30. Nun will ich noch eine Art der hieher gehörigen Auszierungen beybringen, die ich Nachschläge nennen will. Es sind dieselben ein paar geschwinde Nötchen, die man an die Hauptnote anhänget, um den Vortrag lebhafter zu machen. Die erste, dieser zwo Noten wird aus dem nächsten höhern oder tiefern Tone genommen, und die zwote ist die Wiederholung des Haupttones. Beede Nötchen müssen sehr geschwind und erst am Ende der Hauptnote vor dem Eintritt in den folgenden Ton genommen werden. Z.E.


<219> Diese Nachschläge, Zwischenschläge, und alle die itzt beygebrachten durchgehende Vorschläge, und Auszierungen müssen keineswegs stark angestossen, sondern gelinde an ihre Hauptnote angeschleifet werden; wodurch sie sich auch von den anschlagenden Vorschlägen, bey denen man die Stärke anbringet, gänzlich unterscheiden, und nur in dem allein mit ihnen übereinskommen daß sie in dem nämlichen Striche an die Hauptnote gezogen werden.

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